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Es waren schöne, glänzende Zeiten, als das Wesen der deutschen Literatur – wiewohl nicht ohne widerstrebende Richtungen in sich selbst – noch von einem großen, gemeinschaftlichen Geiste beseelt war, der sich da etwa folgendermaßen bezeichnen ließ: Zeitlose, unverwelkliche Werke zu schaffen, die, geläutert von der notwendigen Bewährungsprobe der Zeit, sich damals wie heute unserer ungetrübtesten Ehrfurcht und Bewunderung erfreuen; denn wie auch Gold zunächst im Feuer geprüft wird, um in all seiner glänzenden Herrlichkeit sogleich hervorzutreten, so bedarf auch die Literatur eines eingehenden Läuterungsprozesses. Und eben jene Literatur ist es, von der hier die Rede ist, Literatur, die an sich und für sich wahrhaftig ist und auch nach Generationen mit immer derselben Begeisterung und Liebe sich gleichsam selbst absorbiert und nie zu Ende liest. Jene mannigfachen Typologien, mit denen die Nachwelt beispielsweise die verschiedensten Literaturströmungen bedachte (z. B. Klassik, Aufklärung, Romantik usw.) mögen uns hier sehr entbehrlich vorkommen, da im Grunde eben nicht nach derlei Art und Weise der Katalogisierung, sondern allenfalls nach echter Dichtung bzw. Trivialliteratur zu fragen ist; die genannten Strömungen bezeichnen ohnedies sämtlich erstere Gattung und wirkten jederzeit ausnehmend befruchtend auf dieselbe, da man hiedurch beständig neue Inspirationen und Inzitationen für deren geförderte Gesamtheit erfuhr! Heute, zu Beginn des einundzwanzigsten Jahrhunderts, spülen die verschiedensten Verläge und Buchhändlermeßfluten alljährlich die neuen Geburten aus dem ungeheuren Ozean schriftstellerischer Prostitution und Plattheit in großen Ballen an Land. Schon Görres und Eichendorff bemerkten irgendwo, das große Publikum der Leserschaft gebärde sich gerade wie das Mammut in den Urwäldern der Poesie, es bricht uns spaltet sich unersättlich Rinde und ganze Stämme zum Fraß und schnuppert im Vorüberstapfen kaum an dem Blumenstrauß, welchen ihm die Muse schüchtern und von ferne zu reichen versucht! Man kann von den Leuten wohl billigerweise ebensowenig prätendieren, daß sie poetisch seien, als daß sie gesund sein sollen, sie haben Besseres zu tun und mit ihrer eigenen Geistreichkeit gar viel zu schaffen, und der durch die beständige Kultur ausgeweitete Lesemagen verlangt sowieso stärkeres Futter.
Kurz, die sogenannte >zeitgenössische Literatur<, sagen wir, ja im Grunde recht eigentlich die Gesamtheit der Künste sowie die Kultur selbst sind – woferne wir die wenigen Ausnahmen gerne auf das allerlöblichste hervorheben wollen – mehrstenteils zu einem höchst fatalen Gebilde verkommen, undichterisch und unpoetisch im höchsten Grade. Man möge sich diesbezüglich nur einmal wieder vor Augen führen, wie separat die berühmten und verehrten Schriftsteller von den beliebten sind! Denn während man diese Zeit ihres Lebens nicht wenig oft als närrisch und geistig kränkelnd, in prätentiöser Anmaßlichkeit und Eigendünkel verkennt, werden jene nach allen nur erdenklichen Regeln der (Un-)Kunst abgefeiert, wenn es auch gleich unmißverständlich scheint, daß sie ohne Verstand, ja eigentlich auch ohne jede Phantasie zu Werke gehen, bisweilen wahrscheinlich nur schnöden Gewinnstes halber, etwa mit jener apathischen Nüchternheit, mit der man ein Handwerk unterhält. Es komme uns hier indessen nur niemand mit der Relativität oder gar der Unnachweislichkeit von guter und schlechter Literatur, da wir nun beim Menschen, bei all seiner Unvollkommenheit, doch jederzeit einen Sinn für das Große und Wahrhaftige im Leben konstatieren konnten! Diese Liste ließe sich freilich noch nach Gefallen fortsetzen; wir aber wollen uns dergleichen Kleinlichkeiten lieber sparen, um die Sache zumindest für diesmal zu einem vorläufigen Ende zu bringen: Die zeitgenössische Literatur ist nur ein Kind ihrer Zeit, die Reflexion einer auf Irrwegen abgetrifteten Gesellschaft! Und die Majorität eben derselben Literatur basiert – wahrhaftige Poesie häufig in alberner Blasiertheit als veraltet und überholt mitleidig belächelnd – auf einer Negation jener Dichtung, welche die heutige Weltliteratur ausmacht, auf einem poetischen Bankerott; und wenn ihre Protagonisten ihre dichterische Blöße noch mit den erbärmlichen Lappen zeitgenössischer Genialität zu flicken und zu behängen trachten und mit ihrer eignen Armut obendrein noch kokettieren – so ändert dies freilich wenig daran, daß das Repräsentantenhaus der Weltliteratur ganz unter dem leuchtenden Gestirn der Dichtung steht und immer stehen wird! Wann, möchte man zuweilen fragen, werden die Leser denn endlich merken, daß ihnen immer wieder dasselbe aufgetischt wird? Aber es kann wohl in der Tat nicht anders sein, sie müssen einen wahrhaft chronischen Hang zum baren Nichts haben!




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