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LESEPROBE

Aus: Thomas von Kienperg, Die Falkenburg, Erstes Buch, Kapitel I

Sanft rauschte der Wind wie ein zärtlicher Gespiel in den hohen Wipfeln der Bäume, als im letzten, goldnen Lichterglanz des Abends eine einsame Reuterin über die weiten Felder sprengte, über denen hell die Abendsonne funkelte. Die Abendröte verglühte eben prächtig an den hohen Felsen, welche über dunklem Tann rings des Tales Tiefe umkränzten, und auf den nahen Äckern erscholl von allerwärts der Landsleute heiterer Gesang, die soeben im Begriffe waren, die letzten Garben zu sammeln und die Fuhrwerke zu beladen. Bei einer jener zahlreichen Feldmarken, welche die einzelnen Fluren voneinander schieden, hatte sich unter dem weitverzweigten Geäst eines allein stehenden, hochgewachsenen Feldahorns ein kleines Häuflein von Feldarbeitern, Knechten und Mägden, versammelt und erquickte sich an einem kühlen Trunk Most, den sie aus einem irdenen Kruge genossen. Fröhliche Rufe irrten zuweilen über die abendliche Landschaft, Tücher und Mützen wurden zum Gruße geschwenkt und überall auf den Saumpfaden, welche hier wie dort in regelloser Anordnung die Fluren durchbrachen, holperten die hoch mit Garben beladenen Karren schwankend und ächzend den verstreut in der Gegend gelegenen Gehöften und Meiereien entgegen, deren bunte Gegenwart unter allerlei Bäumen, hinter Zäunen und Feldgehölzen verborgen, zuweilen eine leuchtende, in den  Abendhimmel aufsteigende Rauchsäule verriet. Inmitten jenes geschäftigen Treibens war unsere Reuterin allmählich nähergekommen, sodaß man die zarten Lineamente ihrer Gestalt, die scharf vom rotglühenden Abendhimmel abstach, nun mit beständig wachsender Deutlichkeit zu unterscheiden vermochte. Eine Koppel gefleckter Jagdhunde lief flink zu Füßen jenes weißen Zelters hin, auf dem das junge Edelfräulein, das es zu sein schien, behende im Sattel saß. Ein lincolngrünes Samtbarett, auf dem eine lange Reiherfeder nickte, saß allerliebst auf den braunen Locken, die in üppiger Fülle gar zierlich bis über die Schultern herniederwallten und ein jugendfrisches Antlitz mit dunklen, tiefsinnigen Augen umrahmten, in dem sich mädchenhafte Scheu mit weiblicher Würde auf seltsame Weise paarten. Ein schmuckes Jägerkleid schmiegte sich in schlichten Formen um den schlanken Leib, und ein Sperber ruhte stolz auf ihrer behandschuhten Faust, indem sie trunkenen Blickes in die herrliche Abendröte hineinritt!
Das Fräulein schien eben von der Vogelbeize zu kommen, denn nun sah man im sinkenden Abendrot auch einige Leibjäger ihres Weges ziehen, die, wie es wohl schien, ein Weniges hinter ihrer Herrin zurückgeblieben waren. Zuletzt ward die Reuterin von den Landsleuten bemerkt, welche sogleich eilig herzuliefen und derselben den freundlichsten Abendgruß boten; manche nahten sich mit jener Art von untertänigen Gebärden, wie sie das Volk ihrer Herrschaft gerne zu erzeigen pflegt und küßten ehrerbietig ihres Rosses Stegreif, indem mannigfache Rufe: „Gott behüte unsere liebe Herrin!“ – „Gott grüß’ Euch, liebste Freiin!“ – ringsum vernehmlich wurden.
Ein Lächeln des aufrichtigsten Wohlwollens huschte über die Züge der jungen Frau, da sie sich von ihren Untertanen auf dieselbe Weise begrüßt sah. Mit vertraulichen Worten beugte sich jene nun auf ihrem Pferde vornüber und wandte sich mit teilnehmendem Eifer bald diesem, bald jenem aus der Menge zu, die, wie es denn vielfach der Art des Volkes entspricht, begierig war, ein Wort gnädiger Anteilnahme aus dem Munde der Herrschaft zu vernehmen. Es lag ein seltener Ausdruck von heiterer Anmut im Wesen des Fräuleins, der jungen Freiin Béatrice von Teuffenbach und Herrin der Falkenburg – ebenso wie in der unbefangenen Art und Weise, mit der sie ihren Untertanen zu begegnen pflegte! Unterdessen waren auch die ihre Herrin geleitenden Piqueurs herangekommen, die, wie man sogleich gewahren konnte, allerlei Geflügel – Türken- und Ringeltauben – an ihren breiten Leibriemen baumeln hatten; des Fräuleins Jagd mit dem Sperber schien eine überaus günstige gewesen zu sein!
Indem Frau Béatrice den Landsleuten mit dem Arm noch einen letzten Gruß zuwinkte, setzte die kleine Jagdgesellschaft ihren Weg längs einer Feldmark in der wachsenden Abendkühle fort und gelangte zuletzt, als sich die Schatten langsam über das Tal senkten, an eine hölzerne Brücke, die hier ihren Steg über ein kleines, doch lebhaft dahineilendes Flüßchen schlug, das sich bisher noch hinter einem schmalen Streif von Weiden und Silberpappeln den Blicken der Reiter verborgen gehalten. Dumpf hallten die Bohlen unter den Pferdehufen, da man die Tiere nun mit geschickter Hand über die Brücke lenkte! Jenseits des Flüßchens führte ein begrünter Reitweg eine Anhöhe empor, auf welcher sich, inmitten eines kleinen Haines von hochstämmigen Buchen und Linden, ein kleines Jagdschlößchen von schlichter Bauart zeigte! In der letzten Abenddämmerung erreichte die kleine Gesellschaft den engen Torweg, der, dicht von Efeu und Immergrün beschattet, in den kleinen Burghof führte; lichte Wolkenbänder schifften westwärts im rotglühenden Abendhimmel und spiegelten sich leuchtend im Flusse, der sich in mannigfach verschlungenem Lauf durch die Tiefe des Tales wand. Indem Frau Béatrice den Sperber, welcher den gesamten Herweg beständig auf ihrem Arm gesessen, einem rasch herbeieilenden Falkenjunker anvertraute, stieg sie vom Zelter und schüttelte die braunen Locken aus der Stirn. Sogleich kam ein etwa fünfjähriges Knäblein gelaufen und drängte sich neugierig mitten unter die bunte Schar der Ankömmlinge.
„Ei sieh, mein allerliebster Knabe“, rief das Fräulein scherzend aus, sowie sie ihr ältestes Söhnlein gewahrt hatte, „solltest du nicht eigentlich zu Bette liegen? Hör’, da hat die gute Grete sich wohl wieder einmal gar artig um den Finger wickeln lassen!“
„Liebste Mutter“, hub der Kleine mit schmeichelnder Stimme an, „habt Ihr mir denn auch ein Täubchen mitgebracht?“
„Nun, das hab’ ich wohl, mein Kind“, versetzte die Freiin, sich sanft von des Knaben ungestümen Liebkosungen befreiend; „aber nun gleich hinfort mit dir – husch! – hörst du? Wenn du hübsch artig bist, ei, dann sollst du morgen gehörigen Bericht erhalten!“
Nun trat Grete, der Freiin Amme und Kindermagd, herbei und bemächtigte sich mit flinkem Zugriff des widerstrebenden Knaben, der allem Anscheine nach noch gern für ein Weilchen an der Seite seiner Mutter zugebracht hätte. Die Freiin indes schüttelte aufatmend ihre Locken, steckte die kurze Reitpeitsche seitwärts an den Gürtel und trat in das Wohnhaus jenes kleinen Jägergehöftes, das auf einer Anhöhe unweit des Ennsflusses über dem Talgrund gelegen war und allgemein die Falkenburg genannt wurde. Frau Béatrice, die Freiin von Teuffenbach, hatte jenes Schlößchen von ihrem Gemahl, dem edeln Grafen von Welsersheimb, angelegentlich ihrer Vermählung vor einigen Jahren gleichsam zur Morgengabe erhalten. Da sich Herr Siegmund, ihr Gemahl, als Offizier des kaiserlichen Korps gar häufig in des Kaisers Diensten befand, pflegte Frau Béatrice sich während ihres Mannes Abwesenheit mit einer Art von seltener Vorliebe auf der Falkenburg zu verweilen, obgleich sich Schloß Gumpenstein, die Stammburg der gräflichen Familie, nur unweit am Eingang zum Gebirge erhob. Dessenungeachtet fühlte sich die Dame in der innigen Vertrautheit ihres Jägerschlößchens bedeutend heimischer, als dergleichen auf dem weitläuftigen Schlosse für gewöhnlich der Fall zu sein pflegte! Schon seit manchem Monat hatte Frau Béatrice ihren Gemahl nur für wenige Tage gesehen; und nachdem des Kaisers Scharen unter der Führung ihres Feldherrn, dem wackern Prinzen Eugen, bei Zenta jenen glänzenden Sieg wider die dräuende Macht der Osmanen erfochten und die Freiin zuletzt verlässige Kunde darüber erlangt hatte, daß er, der Graf, bei dem Treffen unversehrt geblieben war, erwartete sie jenen nun stündlich mit beständig wachsender Sehnsucht zurück. Umso größer war ihre Überraschung, als sie nun den kleinen Jägersaal ihres Schlößchens betrat und dort einen Boten des gräflichen Schlosses vorfand, der auf die Rückkehr seiner Herrin gewartet hatte und ihr die endgültige Nachricht von der baldigen Ankunft des Grafen verkündete. Ein Freudestrahl durchbebte ihren Busen, da sie die sehnlichst erwartete Botschaft vernahm, doch mit merkwürdiger Gefaßtheit schien sie dieselbe aufzunehmen: Frau Béatrice gehörte nicht zu jener Art von Menschen, die den innerlichen Drang verspüren, die mannigfachen Regungen ihres Gemüts der Außenwelt zu vermitteln, indem sie Freud wie Leid stets mit anderen zu teilen gewöhnt sind, sondern welche diese dafür umso inniger und tiefer am Grunde ihrer Seele zu empfinden pflegen!
„Gottlob, endlich!“ rief die Freiin aus, indem sie sich mit mühsam verhaltener Freude in der wachsenden Dämmerung hinter dem mächtigen Eichentische niedergelassen hatte.
„Wahrhaft, liebe Grete“, wandte sie sich lebhaft an die soeben eingetretene Amme, welche unterdessen den Knaben zu Bette gebracht, „wie wird unser Herr erstaunen, wie die Kinder doch so groß geworden sind!“ Ein seltsam verträumtes, fast mädchenhaftes Lächeln schien um die Lippen der jungen Frau zu schweben.
„Hör’, Grete“, gebot sie nun, sich abermals derselben zuwendend, „sorg’ nun für das Wohl jenes braven Mannes, der uns so treffliche Zeitung ins Haus gebracht! Laß’ sogleich den Tisch bestellen und Wein auftragen, die gute Kristin“ – Kristin war der Freiin alte Küchenmagd – „die gute Kristin soll unserm teuren Gaste aufwarten! Man soll die Gästekammer rüsten lassen, denn im Dunkeln“ – sie wandte sich mit angelegentlichen Mienen nach dem Boten – „je nun, im Dunkeln werdet Ihr doch einmal nicht gerne nach dem Schloß zurückwollen, wenn der Weg dorthin auch nicht gar weit ist!“
Indem sie dem Hausgesinde noch rasch einige Weisungen erteilte, zog sie sich, den Gast ihrer Dienerschaft empfehlend, sogleich auf ihre Kammer zurück; es verlangte sie recht von Herzen, mit ihren Gefühlen alleine zu sein! Die Nachricht von der Rückkehr ihres geliebten Gemahls hatte die freudigsten Hoffnungen in ihrem Busen entzündet – nur allzuoft hatte sie jenen Augenblick in den vergangenen Tagen herbeigesehnt! Die Freiin öffnete sogleich den Riegel zu ihrer Kammertür und trat ins Freie auf den kleinen Altan hinaus. Sie blickte zum Himmel auf; an seinem ostwärtigen Rande blitzte die wachsende Schar der Gestirne, und gen Westen hing ein fahler Lichtstreif über den Bergen, der mit zauberischem Schimmer in das stahlblaue Dunkel des nächtlichen Himmels hereinspiegelte!
Tief atmend schloß die Freiin die Augen und lehnte ihr jagdmüdes Haupt an das grobe Gebälk. Die Erwartung jenes Augenblickes, nun bald wieder ihren Gemahl in die Arme zu schließen, dessen geliebten Anblick sie für so lange Zeit hatte entbehren müssen, ließ sie in die holdseligsten Betrachtungen versinken; und da bedachte sie denn, wie sie vor manchem Jahr des Grafen Liebe zu erringen gewußt und jener sie zuletzt vor den Traualtar geführt hatte! Die glücklichste Zeit schien dem frischvermählten Paare bevorzustehen: die junge Ehe ward mit der Geburt eines Knaben gesegnet, bald darauf folgte ein zweiter, sodaß die hochbeglückte Hausfrau, nachdem sie ihrem Gemahl nur wenig später auch noch zwei Geschwisterchen – es waren dies Zwillingsmägdlein gewesen – geschenkt hatte, in ihren jugendlichen Jahren, in denen sie sich befand, bereits von vier Kindern genesen war! Allein jenes ungetrübte, häusliche Glück währte nur für kurze Zeit: denn bald schon riefen den Grafen dringende Geschäfte an den Hof zu Wien, woselbst man über die wachsende Bedrohung, welche das Vordringen der wilden Türkenscharen im Ungarland bezeichnete, nicht wenig besorgt war! So war es denn zuletzt an dem, daß die Obligationen des Hofes dem Grafen immer seltener Zeit ließen, sich nach gebührender Weise um seine junge, beständig wachsende Familie zu kümmern, welche er zuletzt über lange Monate hinweg kaum einmal gesehen hatte! Seine Pflichten sahen ihn nun zumeist am fernen Hofe zu Wien, und seine Stellung als ein getreuer Vasall seines Herrn und Kaisers vermochte es, daß er zuletzt, als ein Feldzug wider die Türkengefahr unausweichlich schien, zu des Kaisers Fahnen gerufen ward! Dies waren gar harte Stunden für die junge Freiin: nicht allein nämlich trug sie nun die Verantwortung für das Gedeihen ihrer jungen Familie – sie mußte auch noch zu jenen mannigfachen Geschäften sehen, welche die Verwaltung ihrer weitläuftigen, weltlichen Besitztümer erforderten und hatte überdies für das Wohl und Weh ihres Gesindes wie ihrer zahlreichen Untertanen zu sorgen. Dies war für ein junges Weib wie sie, das gerade einmal dem Mädchenalter entwachsen war, keine leichte Aufgabe, zumal sie auch kaum Gelegenheit gehabt, wie andere ihres Standes und Geschlechtes, langsam und allmählich in die veränderten Verhältnisse hineinzuwachsen. Ihr frisches Wesen, ihr allezeit milder Sinn indes vermochten es, daß ihr die Herzen von allen Seiten zuflogen und sie, die junge Freiin, von den ihrigen schon bald als die wahrhafte Herrin geachtet ward, die nun an ihres Gemahles Statt das Amt des Regenten im Lande versah! Wohl hatte sie in jenen Tagen auf gar schmerzliche Weise erfahren müssen, daß Milde und Güte im harten und oftmals unerbittlichen Fortgange der Zeit nicht immer hinreichten, um den Lauf der Dinge aufrecht zu erhalten, und so hatte sie denn gelernt, Strenge zu üben, sooft es die Notwendigkeit gebot. Anfangs war ihr dies begreiflich höchst beschwerlich gefallen; doch da sie nachmals mehr und mehr zu jener Überzeugung gelangt war, daß gerechte Strenge oft ein besserer Weiser des Lebens war als falsche Milde, die so häufig die Beförderung mannigfachen Übels begünstigt, wuchs sie immer mehr in jene Verhältnisse hinein, die ihr durch die Macht des Schicksals gleichsam zugefallen waren, und sie verstand es nun fort und fort besser, sich mit Hilfe ihres treu ergebenen Gesindes ihres Amtes zu versehen. Schon von Kindesbeinen an war Frau Béatrice eine frische und kecke Natur gewesen, die sich gleichwohl stets in einem Hang zum Schwärmerischen geäußert hatte; und je häufiger ihr Gemahl am Hofe verweilte, desto öfter zog sie sich nun in den vertrauten Schutz ihrer Falkenburg zurück, die Verwaltung des gräflichen Schlosses dem Burgvogte anbefehlend. Wohl versäumte die ihr eigene, weibliche Klugheit es nicht, zuweilen nach dem Rechten zu sehen; doch da sich in der friedlichen Mark alles in der Ordnung befand, pflegte sie ihre Tage denn immer häufiger auf der Falkenburg zu verbringen, sodaß sie zuletzt nur mehr selten jenen kurzen Weg nach Gumpenstein, ihrer Stammfeste, antrat, die sie in des Burgvogtes bewährten Händen wußte! In der innigen Vertrautheit und Abgeschiedenheit der Falkenburg, umgeben von ihrem treuen Gesinde, glaubte sie ihre Pflichten als treusorgende Gebieterin ihres Landes und Mutter ihrer Kinder am besten zu erfüllen. Die einzige Abwechslung im alltäglichen Einerlei ihrer Geschäfte, die den überwiegenden Teil ihrer Zeit in Anspruch nahmen, gewährten ihr das Jagdvergnügen und die Vogelbeize, die sie schon von frühester Jugend an, von ihrem Vater, dem alten Baron, mit einer Art von leidenschaftlicher Hingabe begünstigt, bei allerlei Gelegenheiten geübt hatte! Jenes waghalsige und frische Wesen ihrer Gebieterin, das bei minder schwärmerischen Naturen bisweilen den Anschein einer gewissen Leichtfertigkeit trägt, erfuhr durch jenen Wesenszug träumerischen Tiefsinns einen Schwung, der sie die Herzen der einfachen Landsleute im Sturm gewinnen ließ und außerdem die Ursache war, weshalb sie auch bei ihrem Gesinde allenthalben wohlgelitten war! Ihre außerordentliche Schönheit, der natürliche Liebreiz ihrer Jugend erhöhten noch jene unbeschreibliche Anmut und Unbefangenheit, mit der sie ihrer Mitwelt stets gegenüberzutreten pflegte! Gewiß war es für ein junges Weib, wie es die Freiin war, nicht gar einfach, den ihr angetrauten Ehegemahl so häufig fernab der Heimat zu wissen, sodaß sie in gar vielen Entscheidungen des Lebens, wo andere ihres Standes wenigstens auf den Beistand eines väterlichen Freundes oder vertrauten Ratgebers rechnen durften, auf sich selbst verwiesen ward; allein die bevorstehende Rückkehr des Grafen erschien ihr nun wie die Verheißung eines ruhigen und stillen, künftigen Glückes, nachdem die Gefahr, die dem Lande allenthalben durch die Türken gedroht, ja nun gebannt war. Und richtig schien es, als wäre nun der Friede wieder allüberall ins Land gekehrt, sodaß die junge Frau der Heimkehr ihres Gemahls mit den freudigsten Erwartungen entgegensah! In zahlloser Schar funkelten die goldenen Gestirne am Nachthimmel, als die Freiin zuletzt aus ihren Gedanken erwachte und vom Söller wieder in ihre Kammer trat. In der allgemeinen Verwirrung des Gemüts, welche sich ihrer angesichts der Botschaft von ihres Mannes Rückkehr bemächtigt hatte, bemerkte sie, daß sie noch im Jagdgewande war; im trüben Schein einer Ampel begann sie nun, sich bedächtiglich auszukleiden. Mit pochendem Herzen legte sie sich schließlich zu Bette und konnte doch lange keinen Schlummer finden. Die frohe Gewißheit, sich mit dem langentbehrten Gemahle nun bald wieder vereint zu sehen, schien sie allen Schlummers zu berauben, wie dergleichen denn bei liebenden Seelen nicht selten der Fall sein mag, die in freudiger Erwartung des geliebten Gefährten harren! –
Der anbrechende Morgen fand Frau Béatrice schon mit dem Frühesten wieder bei den vertrauten Geschäften. Sie saß, mit zierlich übergeschlagenen Beinen, auf einer verwitterten, hölzernen Bank, die inmitten des kleinen Burghofes um den Stamm einer mächtigen Linde geschlungen war, und sah mit behaglichem Lächeln dem kindlichen Spiel ihrer Sprößlinge zu. Der Knaben ältester, Siegmund, welcher der damaligen Sitte gemäß seines Vaters Namen trug, sowie sein nur um ein Geringes jüngeres Brüderchen Georg Joseph wurden des vielen Umherstreifens nicht müde, das ihnen die Falkenburg in reicher Fülle darbot. Die beiden jüngeren Geschwisterchen, die Zwillinge Constance Béatrice und Anna Maria, befanden sich in der Obhut ihrer Amme Grete, die indes kein Auge von denselben verwandte und mit einer Art von besorgter Eifersucht über dem Beginnen ihrer beiden Schutzbefohlenen wachte! Das Sonnenlicht spielte funkelnd durch die leise vom Winde bewegten Blätter der Bäume, die den Hof des kleinen Jägerschlößchens mit ihren breiten Kronen beschatteten. Ein kleiner Torweg, von üppig wucherndem Efeu und Immergrün umrankt, führte daselbst in einen jener kleinen, viereckigen Innenhöfe, die man in der alten Sprache vergangener Jahrhunderte Quadrum genannt hatte. Ein aus groben Feldsteinen gemauerter Ziehbrunnen bildete die Mitte desselben, während ringsherum die breiten Kronen der Bäume über die schindelbedeckten Dächer emporstrebten, von denen munter die Tauben girrten. Im Hofe aber tummelten sich, nebst dem beständig ab- und zulaufenden Gesinde, außerdem zahlreiche Hühner und Gänse, welche hier wie dort gackernd über die Hofstatt liefen, und auf einem umgestürzten Schubkarren kollerte ein Pfau mit zierlich geschlagnem Rade in die sonnigen Lüfte hinaus. Dem Wohnhause gegenüber zeigten sich allerlei Nutzbauten als Rüstkammern, Stallungen, Falknereistuben und kleine Försterhäuschen, welche mit sonnverbrannten Balken und blau gestrichenen Fensterläden, an denen sich malerisch das lichtgrüne Weinlaub emporrankte, an die aus groben Steinen aufgeführte Umwallungsmauer angebaut waren. Allerhand Geweihe und ausgestopfte Häupter von Hechten, Luchsen und ähnlichem Getier waren in waidgerechter Ordnung an den Balkenwänden angebracht, und rings an den Mauern lehnten mancherlei Gegenstände des täglichen Gebrauches als Jagdspieße und Saufedern, Flinten, mächtige, unförmige Dungkörbe und große, hölzerne Heugabeln, Sensen, Zaumzeug für die Pferde, lederne Fußfesseln und Riemen für die Beizvögel sowie dergleichen andere Gerätschaften, deren man im alltäglichen Umgange bedurfte!
Das Wohnhaus der Falkenburg bestand aus einem grob gemauerten, zweistöckigen Haupthaus, an dessen einem Ende sich ein plumper Turm erhob, der die kleine Burgkapelle beherbergte. Diese Kapelle, deren Ursprung, wie man in alten Chronika nachlesen konnte, bis in die früheste Zeit der Frankenherrschaft zurückreichte und an welche spätere Besitzer, wie man alle Ursache hatte zu vermuten, jenes Gehöft angebaut hatten, das ehedem unter dem Namen „Pfaffing“ bekannt gewesen, war ein bevorzugter Aufenthaltsort der Freiin geworden. Frau Béatrice galt ungeachtet ihres jugendfrischen Wesens als eine Person von aufrichtiger Frömmigkeit und pflegte denn häufig beim stillen Gebet in der Kapelle zu verweilen, deren Wiederherstellung und Ausbau sie mit vielem Eifer besorgt hatte! Das Wohngebäude barg zu ebener Erde den kleinen Jägersaal, die Küche und die Gesindestuben, während das obere Geschoß die Gästestuben sowie die Schlafkammern der gräflichen Familie beherbergte. Die Bäume des Hofes, allerlei Feldsträucher sowie jener Hain von Buchen und Linden, welcher die Falkenburg rings umgab, woben eine seltsame Stimmung der Ruhe und des Friedens um jenen Ort, welchen die junge Freiin über die Maßen schätzte und liebte. Von hier aus konnte man das gesamte Tal bis zu den schneebedeckten Gipfeln des Gebirges übersehen, die das breite Tal des Ennsflusses von allen Seiten umrahmten. Am nämlichen Platze, so war die Freiin überzeugt, mochten ihre Kinder in aller Unbekümmertheit und natürlichen Freiheit des ländlichen Lebens heranwachsen; noch waren sie freilich zu jung an Jahren, doch gedachte sie ihre Sprößlinge zur rechten Zeit im freien Gebrauche ihrer Geisteskräfte unterweisen zu lassen, damit sie in den Genuß einer standesgemäßen Erziehung kämen, wie es Personen ihrer Stellung und ihres Ansehens von alters her geziemte und die sie sich der stattlichen Ahnenreihe eines alteingesessenen Adelsgeschlechtes rühmen konnten! Auch sie, die junge Freifrau, war auf dem Landsitze ihrer Eltern in aller Unbekümmertheit der Jugend herangewachsen, ohne daß man dabei die Pflichten einer standesgemäßen Unterweisung vernachlässigt hätte; und nach derselben Weise gedachte die Dame es mit der Erziehung ihrer eigenen Sprößlinge zu halten!
Jene romantische Umgebung bot den beiden ältesten Knaben ein reiches Betätigungsfeld für ihre kindlichen Knabenspiele. Freilich hatte mancher Falkenjunker oder Reitknecht zuweilen seine rechte Not mit dem unbezähmbaren Forscherdrang jener beiden, kleinen Abenteurer, was denn die Ursache für mancherlei Aufregung war, sooft die neugierigen Knaben ihren Fürwitz allzuweit trieben; allein ein mahnendes Wort der Amme oder der Mutter genügte zumeist, um die beiden Wagehälse wieder zur Besinnung zu rufen! Zuletzt rief die Freiin die beiden Knaben zu sich.
„Nun, meine lieben Herzenskinder“, wandte sie sich denselben mit inniger Stimme zu, in der die ganze Freude um die baldige Heimkehr ihres Gatten zitterte; „nun, wäre es nicht allerliebst, wenn Vater wieder einmal zu Besuch käme?“
„O ja, liebe Frau Mutter“, brach der Ältere, Siegmund, sogleich los, „schreibt ihm doch nur schnell einen Brief, daß er recht, recht bald wieder nach Hause kommen soll! Ihr habt ja selber unlängst erzählt, daß der Krieg nun vorbei ist und der Kaiser sein nun nicht weiter bedarf!“
Mit gewichtiger Miene sah der Knabe rings um sich her, um zu beobachten, welche Wirkung seine bedeutungsvollen Worte bei den übrigen hinterlassen hätten: er dünkte sich reichlich klug darin, um Dinge zu wissen, von denen sein jüngerer Bruder, und nun gar die beiden Schwestern einmal so ganz und gar nichts verstanden!
„Nun, so setzet euch denn einmal her“, sagte sie, indem sie die Knaben beiderseits zu sich in den Schoß zog; „ich habe eine gute Nachricht für euch! Euer Vater hat mir ganz fest versprochen, daß er recht, recht bald nach Hause kommen und dann lange, ach! – für ganz lange Zeit bei uns bleiben wird! Ihr müßt mir allerdings versprechen, nur ja fein artig zu sein, damit euer Vater alle Ursache hat, stolz auf euch zu sein! Ihr versprecht mir das, nicht wahr?“
„O ja, allerliebste Frau Mutter!“ jubelten die Kleinen, die es nun nicht länger mehr auf den Knien ihrer Mutter hielt und auf das ausgelassenste in dem Hofe umhertobten.
„Der Vater kommt heim! – Der Vater kommt heim!“ so jubelten sie immerfort, und es wollte des freudigen Umherspringens kein Ende nehmen.
Mit einer Mischung von stiller Freude und mütterlichem Stolz sah die Freiin dem ausgelassenen Spiel ihrer Knaben zu, während ihre beiden süßen Töchterlein mit der Amme auf einer Bank in der Sonne saßen und mit teilnahmsvollen Gesichtchen den reizenden Märlein lauschten, welche ihnen ihre Aufwärterin erzählte!
„Ach, wie ist es gut, daß der Vater nun endlich wieder nach Hause kömmt!“ dachte die Freiin im Stillen bei sich selbst. „Schlägt es doch namentlich für das gedeihliche Heranwachsen der Knaben zuweilen übel aus, wenn der Vater, der doch einmal eines Knaben rechtes Fürbild sein soll, allzulange über Land reist, wohingegen der mildere Sinn unserer Töchter im allgemeinen mehr von den häuslichen Geschäften der Mutter bestimmt wird! Ach, wie werden die Kleinen sich freuen!“
Und in innigen Bildern erfreute sich ihre Phantasie bereits jener Stunden, in denen die Familie nach jenen langen Tagen der Trennung endlich wieder vereint sein würde!
Nach Mittag, nachdem sie die häuslichen Angelegenheiten bestellt, die Kinder der Obhut ihrer Amme übergeben und allenthalben nach dem Rechten gesehen hatte, bestieg sie ihren Zelter und ritt im Jagdgewande, doch ohne Begleiter, in das weite Tal hinaus. Frei atmete ihr Busen, da sie nun auf verborgenen Pfaden recht durch die herrliche Waldeinsamkeit ritt und bald nur mehr das einförmige Rauschen der Ströme und Wälder ringsum zu vernehmen war! In des Gebirges innersten Schlüften, beim einsamen Waldesrauschen und beim Stürzen der Wasserfälle, die rings gleich duftigen Feenschleiern von den hohen Felsen stäubten, saß die Einsame lange Zeit bei ihrem Vogelherde, welchen sie daselbst vorzeiten aufgepflanzt, und sann gar inniglich, wie in holden Träumen, über ihr künftiges Leben an ihres Gemahles, des Grafen von Welsersheimb, Seite nach. Schon nämlich trug sie – sie wußt’ es seit längerem – ihr nächstes Kind unter dem Herzen, und wie sehnte sie sich doch so recht inniglich darnach, ihr künftiges Leben in der Geborgenheit einer wiedervereinten Familie, in Ruhe und Frieden und stiller Beschaulichkeit, hinzubringen. Lange Zeit saß sie, in stille, träumende Betrachtung versunken, bis ein leises Dämmern über den sonnenduftigen Tälern zu weben begann. Zuletzt wandte sie sich von dem Vogelherde ab, in dem sich nichts gefangen hatte, und bestieg ihren Zelter. Als die Abendröte eben prächtig über den höchsten Felsen glühte, gelangte sie auf allerlei Waldpfaden in einen abgelegenen Schluchtengrund, wo ein hoher Wasserfall brausend über zertrümmerte Klippen herabsprang. Ein bunter Regenbogen wölbte sich zu Füßen desselben, und wo die wilden Wasser mit gähem Ungestüm über bemooste Felsen und kristallklare Tümpel dem Ausgang des Tales entgegeneilten, geriet die Überraschte nach einem Weilchen an eine im tiefsten Schluchtendunkel verborgene Mühle, deren sie ehedem noch nie gewahrt hatte! Am moosigen Gemäuer drehte sich – „klipp-klapp! – klipp-klapp!“ – das ungeheure Mühlrad, welches mit seinen mächtigen Schaufeln für und für in des Baches schäumenden Wirbel griff; die alte Mühle indes schien rückwärts an eine Felswand gelehnt und gleichsam wie ein Schwalbennest an derselben zu hangen. Indem die Freiin nun an dem seltsamen Gebäude vorüberritt und die über und über mehlbestäubten Gesellen, auf einer Wehr über dem brausenden Wildbach stehend, der anmutigen Reiterin von ferne zuwinkten, zeigte sich hoch darüber, auf einem von der letzten Abendsonne beschienenen Felszacken eine Gestalt, welche stolz zu Pferde saß! Die Freiin gewahrte sogleich jenen kühnen Reiter, einen stattlichen Jägersmann; und da sich zuletzt ihrer beider Blicke trafen, da bog droben das edle Roß gar anmutig seinen Hals, und der Reiter setzte mit seinem schwarzen Rapp spornstreichs und in hohem Flug über die Klüfte, daß droben die Steine fielen und die Büsche schwankten, bis der Hufschlag verklungen war und zuletzt nur mehr des Baches einförmiges Rauschen durch die verglühende Waldeinsamkeit drang. Verwirrt über jene seltsame Begegnung setzte die Freiin ihren Weg fort und gelangte mit Einbruch der Dunkelheit wieder auf die Falkenburg zurück!

 
Kapitel II
 
Düstere Gewitterwolken wälzten sich über die grünen Hügel und Waldberge bis weit ins flache Land herein, als ein kleines Fähnlein Reiter am Ufer des Donaustromes heraufgezogen kam; durch den finsteren Wolkenvorhang blitzte zuweilen noch ein Strahl der tiefstehenden Sonne und funkelte in gleichsam verschönter Pracht in des Stromes dunkler Flut. Die Landstraße führte nun beständig am Rande steiler Felsen längs des Ufers hin, ehe man zuletzt bei einem Kreuzwege an eine romantisch gelegene, jedoch ein wenig verwahrlost aussehende Schifferherberge gelangte, die sich, mit sprödem Gemäuer und schadhaftem Schindeldache, unter die knorrig verzweigten Äste eines ungeheuren Eichbaumes hinduckte. Wild empörten sich ...



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