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Zwei Töchter besaß Athenens König –
Sie ergötzten sein Herz nicht wenig –
der Hellenen Gebieter Pandion.
Einen Freier wollte er erwählen
sich mit Prokne zu vermählen
vor Attikas Prytanenthron!

Des Herrschers Bestreben zu erfüllen
frommte die Tochter des Vaters Willen
und freite den stolzen Tereus.
Doch dem düst’ren Gemahle sanken
der Begierde Lustgedanken
bald nach dem styg’schen Erebus.

Es stand der Finst’re einsam sinnend
seiner Tücke Ränke spinnend
auf den Mauern des Parthenon.
Und es lauschte der Verzückte
Den ehelichen Banden Entrückte
sprühend der Lyra Freudenton!

Und aus dem Gemache sah man wallen
durch des Haines schatt’ge Hallen
Philomele, die liebliche Sängerin!
Des Königs Gunst hatte sie erkoren
als des Vaters Liebling, zweitgeboren,
riß sie arglos den Würger zur Untat hin!

Des Päans Lob hörte man erschallen
Und hoher Anmut süßes Lallen
erfüllte der Götter Preislied! Ach!
O Eumeniden, mögt ihr sühnen,
das frevle Wagen jenes Kühnen,
der dieser Jungfrau Urteil sprach!

Und es trat der dunkle Rächer,
der treuen Schwester Ehebrecher,
vor die Jungfrau dräuend hin:
„Du sollst mit mir das Lager teilen!
Meines Herzens Glut zu heilen,
strebt verlangend mir der Sinn!“

Und die Bedrängte mit keuschen Sinnen
frommer Gottverehrerinnen
mit königlicher Acht gebeut:
„Nimmer kann ich dir willfahren,
der in Eheschwur, dem wunderbaren,
du meine Schwester hast gefreit!“

Nicht rührte ihres Wortes Mahnen,
das Verräterherz. Doch ahnen
die treuen Sinne das Unheil schon.
„Und bist du mein nicht wohlgesonnen,
gewähre sträubend deine Wonnen
mir zur Lust und mir zum Lohn!“

Und der Tolle, fühllos verblendet
Entweiht des Gürtels Bande, schändet
frevelnd des unschuld’gen Kindes Leib!
Und daß niemand es erführe,
geheim bliebe die Schandesmäre,
raubt die Zunge er dem Weib!

Verflossen das frevelnde Ergötzen
gewahret die Schwester mit Entsetzen
die weinende Schwester! Im Schoße ein Kleid!
Und in bitterlichem Weinen
Strömten die Tränen auf das Leinen
Darein sie gewirkt das arge Leid!

In dem stummgeschlag’nen Munde
rasch erstirbt die Schreckenskunde,
die Schwester mit Grau’n die Stumme sah!
„Weh mir! Das Kleid, das bräutlich reine,
des Bildnis verrät im Heuchelscheine
den Gatten mir! Der Würger ist nah!“

Es strebten die Schwestern schnell von hinnen
Dem nahen Unheil zu entrinnen
doch hatte der Finst’re sie schon erspäht!
Flugs treibt er seine Mörderscharen
im Busen die Schandtat zu bewahren,
er des Orkus Beistand fleht!

Als ermattet die zarten Glieder
Sanken die Fliehn’den erschöpft darnieder,
bei des Waldes nahem Rand!
Denn die Leidgeprüften sahen
Schon der Verfolger Rosse nahen
empfah’n sich treulich der Gotteshand!

Und es erhörte die Betrübten,
Pyrrhas Töchter, die geliebten,
auf des Olympos Wolken Zeus!
Und in dem weiten Himmelsbogen,
des herrlichen Kroniden zogen
Aar und Blitze ihren Kreis.

Noch ehe Tereus‘ Mörderscharen
bei den getreuen Schwestern waren
ward das Wunder schnell vollbracht!
Eine Schwalbe saß auf grünem Reise,
der Nachtigall schmelzende Weise
verkündete der Götter Macht!

Schaudernd lauschten die Achaier,
dem holden Liede, wert und teuer,
und bebend riefen alle aus:
„Horcht! Des nächt’gen Vogels Klage,
kündt‘ den Schänder uns am Tage!“
der wandte rasch das Pferd voll Graus.

Des gestrengen Orkus Richterwaage
Fördert die Schandtat schnell zu Tage
Es ertönte laut des Königs Ruf:
„Noch eh‘ die Abendglocken schallen
wirst du nach dem Avernus wallen,
zu deinesgleichen, der dich schuf!“

Und höret ein Herz, das einsam, leise
Wacht, in Nächten die schmerzliche Weise
es gedenke stets Philomelens ein!
Wenn in dem stillen Haine Syringen,
der Pandora mächtige Worte erklingen:
„Des Weibes Nein achte als ein Nein!“



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