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Einst hauste in dem Lande Theben,
finster, feindlich allem Leben
ein Wesen, furchtbar von Gestalt;
der Griechen waffenkund’ge Scharen,
wie gewandt im Streit sie waren,
sie beugte willig die Gewalt!
Viele waren schon gefallen,
o Schreckensmär‘! zu schnödem Raub
dem Untier! Von den Helden allen
blieb nur der Verwesung Staub!

Ein Geheimnis barg im Busen
kundig nur den weisen Musen
des Orkus falsche Kreatur;
jenen Schleier zu erheben
setzte ein, das teure Leben
wagend, manches Helden Schwur.
Nicht Pfeil, nicht Speer galt’s zu versenden,
das Arge trug des Wissens Schein,
ein Rätsel nur, wenn ungelöst
es blieb, verblich des Lebens Sein.

Schon viele waren hingesunken,
sonder Hoffnung, leidestrunken,
erstarb der zagen Herzen Mut;
doch in einem starken Herzen
stachelte der Leiden Schmerzen
kühn die hehre Kampfesglut!
Dem grimmen Wesen zu begegnen,
gürtete sich Ödipus
allein mit Wissens Kraft gesegnet
förderte er seinen Fuß!

Die Kampfeslust, die fromm entfachte,
beflügelt‘ ihn, und er gedachte
nicht des schicksalsträcht‘gen Winks;
und eh‘ er solches noch bedenket,
schreitet für und für er, lenket,
seinen Schritt zur furchtbar’n Sphinx!
Schaudernd dreh’n sich ihm die Sinne,
zwei blutrünstige Augen dräu’n,
und flehend bittet er die Musen,
ihm Götterweisheit zu verleih’n!

Die Sphinx, sie regt sich düsterdrohend,
aus ihrem Rachen, feuerlohend,
sie die furchtbar’n Worte spricht:
„Ein Rätsel nur sollst du mir lösen,
doch stirbst du, wie die andern Wesen,
bekennst du mir die Antwort nicht!“
Und Ödipus, der fromm Beherzte,
sprach: „So soll die Losung sein!
Vermag die List ich nicht zu lösen,
so freue sich die Hölle mein!“

„Weh dir“ begann das Ungeheuer,
„unlösbar ist das Abenteuer,
das frech du zu bestehen wagst!
Bedenke! all die treuen Freunde
aus des Griechenstamms Gemeinde
deren Leben du beklagst!“
„Wohl klage ich“ hub an der Kühne,
„um manchen werten, teuren Freund,
des Manen fordern rastlos Sühne,
zu rächen des Gerechten Feind!“

„Gut denn, du Tor“ begann die Böse,
„dünkst du so weise dich, so löse
geschwind des Rätsels Frage mir!
Es gibt in uns’rer Schöpfung Werden,
ein wandelbares Ding auf Erden,
vier Füße hat’s! Doch ist’s kein Tier!
Es kann sich auch auf Drei’n bewegen,
oder nur auf deren Zwei’n,
je mehr der Füße sich da regen,
je länger währt der Schritte Reih’n!“

Da lachte es aus Höllenschlünden:
„Weißt du die Antwort nur zu finden,
so tue schnell sie wissend kund!
Noch keiner wußte sie zu geben,
es bezahlte mit dem Leben,
der blöde, unberedte Mund!“ –
„O ihr der Hölle Ausgeburten!“
rief Ödipus, der treue Held,
„ich kenne solch ein Wesen dorten
nur Eines auf der Welt!“

„Denn wenn aus warmen Mutterschößen
wir mühsam uns’re Glieder lösen,
tastend uns auf allen vier’n;
dann lernen wir, in höherm Streben,
uns’res Leibs Gestalt erheben,
Fuß auf Fuß die Schritte führ’n!
Und bleicht das Alter uns die Locke,
es wallt der Greis am muntern Stab,
und wandelt auf der Füße dreie,
bis hinunter in sein Grab!“

„Es kann“ rief laut der edle Retter,
„allein das Abbild aller Götter,
der Mensch nur dieses Wesen sein!“
Die Sphinx, sie steht entsetzt, vernichtet,
der hohe Gott, er hat gerichtet,
und forderte das Opfer ein!
Es herrschte in dem Lande Theben,
fortan wieder des Friedens Macht,
doch ach! es mußt‘ in unsagbarem
Leide leben, der ihn gebracht!



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