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LESEPROBE

An einem schönen Sommerabende wanderte ein einzelner Mann auf der schlecht chaussierten Landstraße, welche in unregelmäßigem Verlaufe das böhmische Vorgebirge durchlief. Er war nach auffallend städtischer Weise gekleidet und führte ein spanisches Rohr in seiner Rechten; ein Felleisen hing an ledernem Riemen um seine Schultern, und wenn er, mit über und über staubbedeckten Schuhen, für ein Weilchen in der glühenden Nachmittagshitze durch die wogenden Kornfelder geschritten war, welche die Straße zu beiden Seiten geleiteten und auf denen der fleißige Landmann allerwärts der Ernte oblag, hatte er zuweilen innegehalten, seinen Hut gelüftet und mit einem Sacktuche sich den Schweiß von der Stirn gewischt. Die Schnitter hatten ihm allenthalben mit verwunderten Blicken nachgesehen – was weiter nicht befremden mochte, war eine Person wie die seinige, sintemalen auf dem Lande, ja in der Tat eine durchaus ungewohnte Erscheinung – und dies umso mehr, als vermutlich ein minder ungewöhnlicher Aufzug bereits hingereicht hätte, einen Feldarbeiter in Erstaunen zu versetzen.
Unser Wanderer – wollen wir ihn nunmehr genau betrachten – zeigte in allen Stücken den gemessenen Ernst männlicher Reife und Gesittung, wie es im allgemeinen Männern nach dem vierzigsten Lebensjahre eigentümlich ist; hinter der Brille, die ihm auf der um ein Weniges zu spitz geratenen Nase saß, blickte ein Paar kluger, blaugrauer Augen hervor, denen man es sogleich ansah, daß es ihrem Träger weder am nötigen Scharfblick für die mannigfaltigen Verhältnisse des Lebens noch an der grundsätzlichen Kenntnis der Menschen gebrach. Gemildert ward jener männliche Ernst, der aus den Zügen seines Antlitzes sprach, durch einen leisen Anflug heiterer Gelassenheit – ein Zug, der im allerersten Augenblick zwar unbedeutend erscheinen mochte, doch ohne welchen man das Gesicht bei Gefahr ein schwermütiges hätte nennen können!
Soeben hielt er wieder inne, klopfte sich zum wiederholten Male den Staub vom Gewande, der sich unterweges ihm angeheftet, und füglich mochte manchereiner im Stillen sich fragen, welche Verhältnisse den Menschen auf diesen Weg geführt hatten, für den eine Kleidung wie die seine freilich höchst unpassend erscheinen mußte! Nach wenigen Minuten hatte er eine freie Anhöhe für sich gewonnen, die ihm einen vortrefflichen Blick auf die nahe Umgebung gewährte, und mit einiger Erleichterung schien er zu gewahren, daß ihn sein weiterer Weg durch schattigten Buchenwald führen sollte. Am Horizont zeigten sich ihm in der Ferne bereits die wilden Höhen des Riesengebirges.
Alsbald führte der Weg tatsächlich in den Wald hinein, dessen hochstämmige Buchen den Pfad mit breiten, weitausladenden Kronen überschatteten und eine angenehme Kühle verströmten. Auch nahte unterdessen bereits der Abend, denn tief stand die Sonne westwärts über dem Hügellande und zauberte bunte Licht- und Schattenbilder um die dichten Stämme des Waldes, durch dessen lichtes Blätterwerk der Zephyr leise flüsternd strich wie die tändelnde Hand eines zärtlichen Buhlen. Jene vornehme Stille und Kühle, welche durch die Hallen des Forstes strömte, schien wohltätig auf unseren Wanderer zu wirken; abermals lüftete er nämlich den Hut, trocknete sich mit dem Schweißtuch die Stirn und setzte, nachdem er sich an einem kleinen Bache, der inmitten des Waldes heiter über bemooste Felsen sprang, erquickt hatte, seine Fahrt mit frisch verjüngten Kräften fort. Hin und wieder schien er wie suchend umherzublicken; in seinem ganzen Gebaren lag der wägende Zweifel dessen, der entgegen seiner Absicht auf einen Irrweg geraten war und nun nach einem verlässigen Anhaltspunkt suchte. Indessen der Mann setzte seine Wanderung, welche ihn nun beständig einen Hohlweg entlangführte, mit wohlgemessenem Schritte fort; und während um die mächtigen Kronen der Bäume die Abendsonne kosend spielte, erwachte der Waldvöglein heiterer Gesang in den lieblichsten Tönen. Unter allerlei Betrachtungen war unser Wanderer etwa eine halbe Stunde in einem zu fortgewandert, als er plötzlich die hellen Schläge – „kling-klang! – kling-klang!“ – eines Pochhammers ganz in der Nähe vernahm, die hallend durch den Forst klangen; rüstiger schritt er sogleich aus, und im allernächsten Augenblick gewahrte er auf einer Feldmark neben dem Hohlwege einen Greis mit ehrwürdigem Barte, der ihn mit demütigem Blick um einen Almosen anflehte; etwas abseits auf einer Lichtung tiefer im Walde erblickte er eine ärmliche Hütte.
„Das ist für Euch, Alter“, versetzte der Mann, nachdem er aus seiner Hosentasche zuletzt ein paar Kupfermünzen zutage gefördert, „wenn Ihr mir sagen wollt, wo ein wandermüder Mann hier in der Gegend auf freundliche Aufnahme hoffen kann!“
„Ihr seid zu gütig, Fremdling“, gab der Alte untertänig zur Antwort. „Noch ehe Ihr ein Vaterunser ganz zu Ende gesprochen habt“, – er wies mit dem nervichten Arme weiter den Weg entlang, – „werdet Ihr an eine Herberge kommen. Ihr könnt nun freilich gar nicht mehr fehlgehen!“
„Gehabet Euch wohl, Väterchen“, sagte der Wanderer, „und habt recht freundlichen Dank für Euere Auskunft!“
Als der Weg nach wenigen Schritten um eine Ecke des Waldes bog, tat sich dem Manne unverhofft der Blick in eine wilde Waldschlucht auf. Auf engem, grobsteinernem Brückensteg überwand der Pfad einen schäumenden Bach, der in ungezügelter Wildheit die Schlucht durchbrauste; dichter Wald klomm zu beiden Seiten die Hänge empor, und die schwellenden Kronen der Ahorne und Rüster wie auch die schlanken Wipfel der Tannen leuchteten im Widerschein der Abendsonne. Düstere Waldesschatten schwebten über dem kleinen Weiler, der, von dichten Baumkronen beschattet, im tiefsten Schluchtendunkel gelegen war. Nun, da eben die Sonne hinter die nahen Waldberge versinken wollte, lag etwas unbeschreiblich Liebliches im Anblick jener tiefen Waldeinsamkeit; die Sonne tauchte langsam hinter die Bäume und vergoldete mit ihren letzten funkelnden Strahlen die zahllosen Stämme, während ihr Abglanz die höchsten Kronen mit einem lichten Flor umschimmerte – ein Bild, das in merkwürdig reizendem Kontraste abstach vom glühenden Abendhimmel, der mit tiefblauen Purpurschimmern westwärts über den Höhen hing und den Saum der Waldberge mit einem Dufte der zartesten Farbtöne wie eine Gloriole umstrahlte. Von allerwärts quoll der Waldvöglein munterer Sang aus Büschen und Bäumen; ein Wanderfalke zog hoch über den Wipfeln des Waldes seine Kreise im goldleuchtenden Abendhimmel, vom letzten Abglanz des Sonnenlichtes umstrahlt gleich einer Fackel, und vor dem auf das anmutigste überraschten Manne huschte ein Eichhörnchen gleichsam wie erschrocken über den Pfad und klomm eilends den Stamm einer mächtigen Tanne empor. Der Abendwind begann in den Kronen der Bäume zu flüstern – fast klang es, als schlüge ein Sänger die Seiten seiner Harfe an. Bedächtig hatte unser Wanderer die letzte Strecke Weges zurückgelegt; hart am Bache erhob sich die kleine Kirche mit dem rundlichen Zwiebelturme, daneben das Pfarrhaus, beide aus groben Steinen gefügt, an das letztere sich anschließend ein Staketenzaun, der auf engem Raum einen kleinen Gemüsegarten umschloß; unfern davon zeigte sich der Giebel einer bescheidenen Herberge, wie es den Anschein hatte, und davor auf einem kleinen Platze ein steinerner Brunnen, in dessen Becken das Wasser sich in munterm Strahl ergoß. Eine Handvoll ärmliche Häuser, die wohl eher Hütten genannt zu werden verdienten, vervollständigten jenes Bild, das, umgeben von tiefen Waldesschatten und fast wie im Widerspruch zu sich selbst, einem jener Bilder glich, deren Anblick auf gar wunderliche Weise unsere menschliche Einbildungskraft erregt und in uns so häufig jene düstere Empfindung von geheimen Schauern und Ahnungen hinterläßt, die uns nicht selten mit einer Art von seltsamer Wohligkeit erfüllen. Zwischen den Hütten gackerten die Hühner, und wo sich im Walde bisweilen ein Anger zeigte, sah man kleine Herden von Ziegen weiden. Kinder tummelten sich mit ausgelassener Heiterkeit am Rande des Baches oder schwärmten in losen Grüppchen etwas tiefer abseits im Walde; sowie der Mann nun allerdings nähertrat und sie zuletzt seiner gewahr wurden, wichen die einen scheu zurück, andere wieder flohen in eine jener armseligen Behausungen, in deren Türen nun gelegentlich Gestalten sichtbar wurden, welche den Ankömmling mit Blicken des Argwohns zu mustern schienen. Obwohl dem Manne das seltsame Gebaren der Leute unmöglich entgehen konnte, trat er sogleich auf ein altes Mütterchen hinzu und frug auf das angelegentlichste nach einer Herberge; man wies ihn endlich an jenes Gebäude, das bereits zuvor die Aufmerksamkeit unseres Gastes erregt hatte und dem er nun seine Schritte entgegenlenkte.
Als er durch die offenstehende Türe eintrat, zeigte sich ihm zunächst niemand. Das Innere der Herberge entsprach durchaus ihrem Äußeren: ein paar wackelige Tische und Bänke standen auf dem Estrich, die Mauern und die Decke des Raumes waren allgemach in einem höchst unordentlichen Zustande, und nur ein gemauerter Kamin, auf dessen Gesims eine schwarze Katze lag, verlieh dem kargen Raume einen leisen Anstrich von Behaglichkeit. Da sich auch weiterhin niemand zeigen wollte, ließ unser Gast sich an einem der Tische nieder, lehnte den Wanderstab nebst seinem Felleisen in den Winkel neben die Türe und beschloß zu warten. Nach geraumer Zeit wurden draußen endlich Schritte vernehmlich; die Tür zu einem Nebenraume ward geöffnet, und der Herbergsvater, wie es wohl schien, trat in die Stube, indem er in jeder seiner Hände, die er weit von sich gestemmt hatte, eine tote Ente am Kragen gepackt hielt.
„Potz Donnerwetter!“, rief er beim Anblick des unverhofften Gastes aus, „habt Ihr mir vielleicht einen gehörigen Schrecken eingejagt!“
Rasch zog er hierauf einen hölzernen Bottich unter dem Ofen hervor, warf sogleich die beiden Enten in denselben, und, sich die Hände an seiner Schürze abtrocknend, wandte er sich mit angelegentlicher Miene seinem Gaste zu.
„Womit kann ich Musjö aufwarten?“
„Mit einer Mahlzeit, zu dienen“, versetzte der Fremde, „und, wo es Euch anständig ist, mit einem Zimmer, wo ich die Nacht zubringen kann. Ich bin in Euerer Gegend ein wenig in die Irre gelaufen, und draußen will es schon dunkel werden!“
Der Patron nickte und brummte ein Weniges, was unser Gast jedoch nicht verstund und verließ kurz die Herberge. Nach einem Weilchen erschien er wieder, versetzte, daß er für das Zimmer zehn Kreuzer verlangen wolle und versprach, ihm für weitere fünf Kreuzer ein Nachtmahl zu rüsten. Abermals verließ hierauf der Wirt die Stube, erschien jedoch schon nach wenigen Minuten wieder mit einem dampfenden Napf und einem Trunk in Händen, welches er nun Beides seinem Gaste vorsetzte.
„Besser vermögen wir es nicht, mein Herr“, versetzte er, „doch hoffe ich, daß die wohlmeinende Absicht, mit der das Mahl in der Eil’ bereitet, Euch über den Mangel desselben zu entschädigen vermag!“
„Ich habe keine großen Ansprüche“, meinte der Mann, „habt vielen Dank für Euere Mühe!“
Das Mahl war ein gar einfaches Gericht und bestand im wesentlichen aus Kartoffeln und Steckrüben, sogar einige wenige Brocken Fleisch befanden sich in demselben; doch schmeckte es nicht übel, und der Gast war es zufrieden. Als er seinen Hunger und Durst gestillt hatte, legte er zwanzig Kreuzer vor sich auf den Tisch.
„Hier Euer Lohn, guter Mann“, versetzte er, „wenn Ihr die Güte haben wollt, mir noch mit ein paar Auskünften dienlich zu sein!“
Der Wirt steckte sogleich das Geld in seinen Kittel und meinte, daß er gerne bereit wäre, ihm Rede und Antwort zu stehen, wo er dies immer nur vermöge!
Der Unbekannte berichtete darauf, daß er von dem Städtchen Hirschberg herkomme und von dort nach Eichstädt habe wandern wollen. In Hirschberg habe man ihm gesagt, es wäre kürzer, den Weg geradewegs durchs Riesengebirge zu nehmen; da sei er denn nun seit dem frühen Nachmittage in einem zu fortgewandert und je länger je mehr des Glaubens geworden, er habe einmal ganz gewiß sich verirrt und wohl irgendwann einen Kreuzweg übersehen. Ein Bettelbruder habe ihm zuletzt unweit von hier den Weg nach der Herberge gewiesen.
„Ei, das war gewiß der alte Swiatek“, versetzte sogleich der Wirt, „der Tagedieb hat Euch wohl um ein paar Kreuzer geprellt!“
Bei denselben Worten verdunkelte sich plötzlich die Tür und eine Gestalt, an deren ...




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