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LESEPROBE

Dort, wo sich die ersten schneebedeckten Alpengipfel in den grünen Fluten der Ströme spiegelten, die aus dem wilden Gebirge in die reichen Tiefen hervorbrachen, stand ehemals eine stolze Feste; jene war, so erzählten sich die Bewohner des Landes, einstmals von Riesen auf einem Felsen hoch über dem Tale erbaut worden. Auf diese Burg nun pflegten sich König Siegband und seine hübsche Gemahlin Blancheflor, welche ihren Hof zu Worms an den Ufern des Rhein hielten, gerne zurückzuziehen; und in der Tat konnte man sich kaum ein reizenderes Fleckchen Erde vorstellen! Sooft es nun die Geschäfte mit sich brachten, daß die Anwesenheit des Königspaares auf ihrer Stammburg zu Worms unentbehrlich schien, verwaltete der Kastellan Siebich mit einer Anzahl von tapferen Rittern die Feste.
Nach einigen Jahren erblühte dem hohen Königspaar zu Worms ein junges Mägdelein, welches in der Taufe den Namen Kühnhilde erhielt. Die junge Königstochter wuchs in der fürsorglichen Obhut ihrer Amme Amalthea gar bald zu einer hübschen Jungfrau heran, und als sie zwölf Jahre alt war, da war sie bereits schöner, als ihre Mutter Blancheflor zu Lebzeiten je gewesen war. Die Schönheit Kühnhildens ward allenthalben im Lande gepriesen, und so kam es, daß bald unzählige Ritter und Helden aus den verschiedensten Reichen des Abendlandes an den Hof nach Worms gezogen kamen, um das holde Königskind von Angesicht zu sehen; es konnte kaum ausbleiben, daß mancher unter ihnen heimlich gedachte, Schön-Kühnhild als seine Braut mit heimzuführen. Sie aber wollte von solchen Grillen nun gar nichts wissen und lebte weiterhin mit ihrer alten Amme wohlbehütet auf der Königsburg.
Es begab sich, daß König Siegband, als Kühnhilde ihr vierzehntes Jahr erreicht hatte und zu einer anmutigen Jungfrau herangewachsen war, wieder heftiges Verlangen danach trug, nach der Alpenfeste seines Kastellans Siebich zu ziehen. Mit geschickten Worten wußte Siegband seine Gemahlin zur Reise zu bereden, ihr vorstellend, wie überaus wohl dem Mägdelein die Ruhe in der stillen Abgeschiedenheit des Gebirges bekäme; die Königin willigte rasch ein, und so zog bald das Königspaar, geleitet von einem prachtvollen Gefolge, über die Donau nach den südwärtigen Gemarkungen ihres Reiches. Sowie sie nach einer gefahrlosen Fahrt die Burg erreicht hatten, mußten sie von den Bewohnern der Feste vernehmen, daß ein furchtbarer Drache die umliegende Gegend in Furcht und Schrecken versetze. So mancher kühne Degen wäre bereits ausgezogen, den greulichen Wurm zu besiegen, doch keiner von ihnen sei jemals von seiner Ausfahrt zurückgekehrt. Der König ward über diese Nachricht über alle Maßen betrübt und versprach dem Bezwinger des Drachens reiche Schätze, und als das alles nichts mehr helfen wollte, endlich sein liebliches Töchterchen Kühnhild zur Braut.
Das hörte auch der junge Jäger Guntram, der, alleine mit seinem jüngeren Vetter Wolfhart und seiner Großmutter in einem alten Jägerhause unweit dem Schlosse lebte. „Ich will hinausziehen und den Drachen züchtigen“, jauchzte Guntram vergnügt, „wir wollen doch einmal sehen, ob es da jede Kreatur auf Gottes schöner Erde immer nur treiben darf, wie es ihr gefällt!“ Obschon die Großmutter den Wagemutigen mit allerlei Warnungen und schauerlichen Märlein von seinem Vorhaben abzubringen suchte, ließ sich jener um keinen Preis dazu bereden, von seinem Wagestück abzustehen. „Der König hat in seiner Not dem Drachentöter die Hand seiner Tochter versprochen“, versetzte Guntram, „und ich trage schon seit langem heftiges Verlangen, der lieblichen Kühnhilde zu begegnen! Besorgt also nichts, Großmütterchen, ich weiß mit Schwert und Armbrust wohl umzugehen, und mit Gottes Hilfe will ich den frechen Gesellen schon bezwingen!“ Mit diesen Worten war Guntram rasch zur Tür hinausgesprungen und allsogleich in dem angrenzenden Walde verschwunden. So wanderte er heiteren Sinnes immerzu fort, so manch munteres Liedchen fröhlich vor sich hersingend. Schon war der Abend nahe, nur noch spärlich funkelte die tiefstehende Sonne durch den abenddunklen Tann, als er inmitten des Waldes an eine einsam gelegene Klause gelangte. Diese bot, an eine zerklüftete, jäh aus dem Waldesgrunde aufragende Felswand gelehnt und überschattet von den Ästen eines ungeheuren Eichbaumes, ein gar düsteres Bild. „Nanu“, rief Guntram fröhlich aus, „da bin ich in der Dämmerung wohl ein wenig von dem rechten Wege abgekommen! Nur gut, daß mich eine günstige Fügung an diesen Ort geführt hat! Hier will ich denn Herberge für die Nacht erbitten!“ Als er so gesprochen, pochte er zwei-, dreimal mit kräftiger Faust gegen die Türe. Er mußte indes noch einige Male hart anklopfen, ehe sich ihm dieselbe auftat und zu seinem höchsten Erstaunen ein Mensch von zwergenhafter Gestalt vor ihm auf der Schwelle stand. Er hatte ein rußiges Schurzfell um die Hüfte geschlungen, so wie es Schmiede für gewöhnlich zu tun pflegen; und obgleich der Kerl nur drei-, vier Spannen hoch sein mochte, besaß er eine ungewöhnlich mächtige Brust und außerordentlich starke Arme. Zunächst war Guntram von der unverhofften Erscheinung des Schrats auf das äußerste verwundert, doch zuletzt bezwang er sich und sprach zu dem Kleinen gewandt: „Nun, guter Mann, wäret Ihr wohl so freundlich, einem verirrten Wanderer Euere Gastfreundschaft zu gewähren?“ „Oho, Bürschchen“, versetzte der Schrat mit einer schnarrenden Stimme, „ihr seht mir in der Tat ordentlich darnach aus, als wolltet Ihr den Strauß mit dem Drachen bestehen! Meiner Treu, junger Fant, ein Schwert trägt Ihr da allerdings, wohl auch Euere Armbrust! Aber Ihr möchtet wohl übel damit abkommen, wolltet Ihr das Stück damit wagen! Tretet getrost ein! ich will Euch nicht bloß Gastfreund sein, ich will Euch außerdem noch zu einem tüchtigen Schwert verhelfen!“ Da Guntram den Wicht so vertraulich reden hörte, begab er sich sogleich seines anfänglichen Argwohnes und machte sich nun mit seinem Wirte bekannt, indem er denselben gleichfalls um seinen Namen bat. Da brach der Schrat plötzlich in ein unmäßiges Gelächter aus, bedeutete dem Jüngling aber, dessenunbeschadet, einzutreten. „Nun, Ihr scheint mir ja ziemlich einfältig zu sein“, schnarrte er, „hört, Alberich bin ich, der vielberühmte Schmied, ein Vetter des zauberkundigen Mime, der einst den Balmung für seinen Herren Siegfried geschmiedet! Was nun auch Euere offensichtliche Unkenntnis angehen mag, junger Gesell, so will ich doch alles tun, was in meiner Macht steht, um Euch eine ordentliche Rüstung zu verschaffen!“ Nachdem der seltsame Waldmensch noch ein kräftiges Abendbrot bereitet hatte und sich die beiden Gesellen mit einem Becher Weines daran gütlich taten, fiel Guntram, von dem langen Marsche ermüdet, sogleich in einen tiefen Schlummer. Anderentags – die Morgensonne lachte bereits heiter zum Fenster herein – wurde er durch ein helles, klingendes Gehämmere geweckt. Indem der erwachte Schläfer sich von seinem Bärenfell wälzte, und, rasch in seine Kleider fahrend, ins Freie trat, traf er den Schrat hinter der Klause an einem mächtigen Amboß an, eine Zange und einen ungeheuren Hammer in Händen, mit dem er ein Stück rotglühendes Eisen – eins-zwei – eins-zwei – im Takte bearbeitete. Aus der Esse schlugen ihm mächtige Feuerlohen entgegen. „Nun, junger Freund, schon so früh auf den Beinen?“ lachte der Albe, den Jüngling mit halb freundlichen, halb spottenden Blicken bedenkend. „Lacht Ihr nur“, versetzte Guntram verdrießlich, „ich will Euch gleich zur Hand sein, so gut, als ich dies immer nur vermag, und ich versichere Euch, Ihr sollt keinen schlechten Gesellen an mir haben!“ Es währte auch wirklich nicht lange, da sprang er dem Meister dergestalt hilfreich zur Hand, daß der sich gar nicht genug darüber verwundern konnte! „Nun, Ihr seid mir wohl der Rechte, den Drachen zu besiegen“, meinte Alberich, „doch müssen wir schon tüchtig draufloshämmern, wollt Ihr eine gute Rüstung und ein treffliches Schwert zur Hilfe haben!“ Da Alberich nun in der Tat ein vortrefflicher Schmied war und die ungestüme Kraft der Jugend Guntram das Werk tüchtig fördern half, war die Arbeit früher als erwartet getan. Am Ende warf Alberich das rotglühende Eisen in einen großen Bottich, sodaß der Dampf zischend daraus emporstieg. „Wahrhaft, Freund, noch nie zuvor sah ich einen solch tüchtigen Gesellen“, versetzte der Schrat mit seiner knarrenden Stimme, „Ihr habt Euch Eure Rüstung redlich verdient!“
Die folgende Nacht brachte Guntram noch, gemäß den Beteuerungen seines Wirtes, bei dem Waldmenschen zu; Rüstung wie Waffen bedürften noch der nächtlichen Kühle und könnten ihre wundertätige Kraft nur dadurch erlangen, wenn sie eine volle Nacht lang im hellsten Mondenscheine gelegen hätten! Am nächsten Morgen brach Guntram, gegürtet in schimmerndes Erz, im ersten Morgenrot auf. Auf den höchsten Felsen und Wipfeln des Waldes strahlte hell Aurora, lieblich sangen die vielen Waldvögelein in der frischen Morgenröte, sodaß es dem Wanderer so recht innerlichst fröhlich im Herzen zu Mute ward. Nachdem er dem hilfreichen Alberich noch einmal Lebewohl gesagt hatte, schritt er alsobald noch tiefer in den Forst hinein. Er mochte wohl bereits an die zwei-, drei Stunden so fortgeschritten sein, da gewahrte er plötzlich, zwischen dem dichten Walde, eine Rauchsäule zum Firmamente emporsteigen. „Hei, ein Meiler“, rief Guntram sogleich freudig aus, „da will ich doch gleich den Köhler darnach fragen, er soll mir nur immer den rechten Weg zeigen, damit ich das Untier auch ganz gewiß nicht verfehle!“ Gar bald hatte er den Meiler erreicht. Der Köhler, ein altes, runzlichtes Hutzemännlein, bezeichnete ihm genau den Ort, an welchem der scheußliche Lindwurm hause. „Hütet Euch, junger Held!“, warnte jener eindringlich, „schon viele sah ich hier vorbeiziehen, noch keinen aber wiederkehren!“ „So werde ich der Erste sein“, lachte Guntram vergnügt, „gehabet Euch wohl, schon auf den Abend sollt Ihr mich wohlbehalten wiedersehen!“
Der Zuversichtliche schritt unverzüglich noch tiefer in den Forst hinein und war gleich darauf den Augen des Alten entrückt. Nicht mehr weit hatte er jetzt fortzuschreiten, als er schließlich an einen höchst ungastlichen Ort geriet! Wohin er sich auch wandte, zur Linken wie zur Rechten, ragten starre Felswände zum Himmel auf, nur vereinzelt sah man dunkle Tannen an den Felsen kleben, deren Wipfel düster im Winde rauschten; auf dem Grunde herrschte ein unwirtliches Dunkel, und als er sich näher umsah, gewahrte er zu Füßen einer finsteren Felswand den dunklen Schlund einer Höhle gähnen. Vor derselben aber lagen zahllose, von Wind und Wetter gebleichte Gebeine und Knochen sowie allerlei rostig gewordne Waffenstücke in der unordentlichsten Verwirrung umher, der Art, als hätte sie jemand zufällig wahllos vor der Grotte ausgestreut. Der junge Ritter fühlte einen kalten Schauder durch Mark und Bein jagen! Im allernächsten Augenblicke aber kam ihn die Furcht dergestalt an, daß er bereits eben bei sich erwog, wieder kehrtzumachen. Da er sich aber nun einmal dazu entschlossen hatte und zudem das reizende Bildnis Kühnhildens beständig vor seiner Seele schwebte, faßte er schließlich von Neuem Mut und schritt näher an die unfreundliche Stätte heran. Als er bis auf wenige Schritte an die Höhle herangekommen war, vernahm er alsbald ein fürchterliches Schnarchen in ihrem Innern. Und wahrhaft! Den Eingang der Grotte bewachend, lag der garstige Wurm im Halbdunkel der Höhle; bei jedem seiner Atemzüge, die er durch zwei feuerlohende Nüstern tat, schienen gleichsam die Felsen ringsherum zu erbeben. Wenngleich es Guntram auch ordentlich vor dem scheußlichen Untiere graute, nahm er sich endlich zusammen und rief aus voller Kehle gegen den furchterregenden Schläfer hin: „Heda, aufgewacht, du häßlicher Gesell! Dein gräßliches Schnarchen verdrießt mich auf meinem Wege! Wenn du Mut genug hast, so kreuch‘ nur gleich besser hervor aus deinem Versteck! Ich habe mir nämlich vorgenommen, dir dein lästiges Schnarchen ein- für allemal abzugewöhnen! Je nun, was gilt’s, hast du’s etwa gar mit der Angst?“
Hierauf rollte der Drache, aus seinem Schlafe gerissen, gar fürchterlich mit den gelben Augen. Er stieß sogleich ein dumpfes Brüllen aus, und, sich auf seinen Hintertatzen emporrichtend, kroch er langsam und dräuend aus dem Loch hervor, dabei beständig Dampf und Feuerlohen aus Rachen und Nüstern vor sich herstoßend und mit dem schuppichten Schwanze wie wild um sich peitschend! Seitwärts am gepanzerten Leibe trug er ein Paar, wie es schien, verkümmerter Flügel, mit denen er unaufhörlich schlug und dadurch nur umso furchterregender anmutete. Die Ohren des Untiers standen ihm gleich Moosbüscheln seitlich am Kopfe, der schuppige Schwanz schlug in einem fort. Da das Scheusal sich nun immer näherwand und ohne Unterlaß seinen Giftbrodem vor sich herstieß, benahm es unserem wackeren Guntram beinahe den Atem; dennoch verstand er es im Nu, seine Armbrust zu ergreifen, und, sogleich einen auf das sorgfältigste befiederten Bolzen auf ein Auge des Angreifers abfeuernd, welche ihm der kunstgewandte Alberich aus reinem Silber geschmiedet, trat er einige Schritte zurück, um den erstickenden Lohen des Ungeheuers zu entkommen. Der Bolzen saß dem Drachen mitten im rechten Auge, und er bäumte sich, unter schmerzhaftem Gebrüll, weiter auf, indem er eine furchtbare Feuerlohe nach dem Ritter schleuderte. Diesem schwanden hierauf fast die Sinne, so giftig und übelriechend umfing ihn der Pesthauch des Untiers; trotzdem ergriff er, unter Aufbietung all seiner Kräfte, ein zweites Mal die Armbrust, und schier vermochte er den Drachen in dem giftigen Hauche nicht mehr zu gewahren. Dennoch feuerte er guten Mutes seine teure Waffe ab, und ein entsetzliches Aufbrüllen des Lindwurmes verriet, daß er sein Ziel wohl abermals getroffen haben mochte! Wild schlug der Wurm nun mit den mißgestalteten Tatzen um sich, schlug flatternd mit den Flügeln, indem er bisweilen schrecklich brüllte und Geifer und Feuer nach dem Ritter schleuderte, sooft er sich bedrohlich gegen jenen wandte. Mit einem Male stürzte sich das Ungeheuer mit einem schauderhaften Gebrüll auf seinen Angreifer; letzterer indessen verstand es, das Untier geschickt zu unterlaufen und ihm unter den weichen Leib zu schlüpfen, welcher nicht von dem Schuppenpanzer bedeckt und gänzlich unbewehrt war. Mit einem kräftigen Stoß trieb er dem giftigen Wurm das Schwert bis zum Heft in den Wanst, sodaß jener tödlich getroffen aufschrie; daraufhin hieb er ihn noch ein paarmal tüchtig in den Leib und machte ihm mit wackeren Schwertstreichen den Garaus, sodaß er sich noch ein Weilchen in den gräßlichsten Zuckungen wand und am Ende das Leben lassen mußte!
Tief schöpfte nun der siegreiche Guntram Atem; und da der giftige Brodem des Untiers noch allüberall in den Lüften hing, mußte er sich, geschwächt wie er war, kurz auf einen Baumsturz niederlassen, um wieder zu Kräften zu gelangen. Als er sich wieder weidlich erholt hatte, schritt er auf den verendeten Wurm hinzu, zog das Schwert aus dem Drachenleib hervor und steckte es wieder an seinen angestammten Platz. Indem sich der junge Held noch ein wenig in der Höhle umsah, fand er dort zu seinem nicht geringen Erstaunen einen ungeheuren Schatz vor, welchen der Drache dort wohl schon seit einiger Zeit bewacht haben mochte. Und richtig, jetzt besann er sich auch wieder darauf, daß Alberich ihm an jenem gestrigen Abende von dem Hort berichtet hatte! Da er überdies von dem Schrat erfahren hatte, daß einst ein furchtbarer Riese, welcher nach wie vor in dem Gebirge sein Unwesen trieb und harmlose Wanderer überfiel, das viele Geschmeide von dem Zwergenkönig Laurin geraubt hatte, und es dem Drachen zur Bewachung überließ, beschloß Guntram bei sich, auf dem Heimwege noch einmal die Einsiedelei seines hilfreichen Wirtes aufzusuchen, um diesen von dem glücklichen Ausgange des Kampfes zu unterrichten. Doch so sehr sich der junge Drachentöter auch abmühte, die Schmiede des trefflichen Alberich zu erreichen, er vermochte sie nirgends mehr zu finden und verirrte sich stattdessen nur noch tiefer in dem Walde. Auf einmal – indem er noch innig darüber fortsann, wie es bloß möglich sein konnte, daß er die Klause nicht mehr finden könne – sprang seitwärts ein Zwerg, wie ein aufgescheuchtes Reh, aus dem taufunkelnden Grase empor und trachtete in hurtigen Bockssprüngen im tiefern Waldesdunkel zu entkommen. >Alle Wetter<, dachte der in seinen Betrachtungen gestörte Guntram im Stillen bei sich, >das Kerlchen kommt mir eben recht! Gewiß weiß es mir zu sagen, wo ich Alberich finden werde!< und im Hui setzte er dem Wicht, über Stock und Stein, nach. Wenn der Jüngling auch gleich durch Schwert und Rüstung behindert wurde, und der Schrat im behenden Zickzack dem Zugriff des Fremdlings zu entrinnen suchte, so konnte es doch nicht lange dauern, bis der nachsetzende Ritter des flüchtigen Alben habhaft wurde und denselben an einem Rockzipfel zu erhaschen vermochte. Da jener sich nun auf das äußerste in Bedrängnis sah, verlegte er sich in seiner Not sogleich aufs Betteln und wimmerte in flehentlichem Tone: „Ach, würdigster Ritter, so erbarmet Euch doch eines armen Schrats, der doch nimmermehr ein würdiger Gegner für Euch sein kann! Wenn Ihr mir versprecht, mir nichts zu Leide tun zu wollen, so will ich mich gerne erbötig zeigen, Euch mit allerlei Auskünften dienlich zu sein!“ Nun der Ritter den Wicht so reden hörte, ließ er ihn los und es stellte sich heraus, daß jener beim Zwergenkönig in äußerste Ungnade gefallen war. Der mächtige Laurin nämlich habe sich, nachdem fremde Helden seinen Garten im Lande Tirol zerstört, hier in dem nämlichen Tale wieder einen blühenden Garten voll der herrlichsten Rosen geschaffen; er seinerseits habe es gar nur einmal gewagt, das blühende Wunder aus der Ferne zu betrachten, da habe ihn Laurin sogleich davongejagt, und er dürfe deshalb nie mehr zu seinem Volk zurückkehren! Es fand sich, daß der Schrat sehr vertraut mit der Umgegend war und dem Ritter versprach, Alberich die Nachricht von der Überwindung des Drachen zu hinterbringen. Er versicherte ferner – nachdem Guntram mehrmals beteuert hatte, Verzicht auf den Hort tun zu wollen und daß es ihm um anderetwillen zu tun sei – daß er alles daranzusetzen wünsche, wieder Gnade bei seinem ehemaligen Gebieter zu finden, indem er ihm den geraubten Schatz wieder herbeischaffen wolle. Sehr gerne zeigte er sich deshalb gefällig, die Fragen seines Wohltäters nach jenem Riesen zu beantworten und ihm den Ort näher zu bezeichnen, an welchem der freche Räuber hause; doch unterließ er es nicht, ihn eindringlich vor dem gefährlichen Unhold zu warnen, welcher, selbst wenn man sich Meister über einen Lindwurm gemacht hätte, wenigstens ebenso gefährlich wäre. Guntram lächelte nachsichtig über die übertriebene Besorgnis des Schrats, und nachdem sie sich so wechselseitig besprochen und dieser sich ein- um das andere Mal überschwenglich bei dem Ritter bedankt hatte, und nocheinmal beteuerte, den ihm aufgetragenen Dienst auf das sorgfältigste besorgen zu wollen, schieden die beiden voneinander.
Von jenem Augenblicke an, an dem der Albe ihm von dem gefährlichen Riesen berichtet hatte, gestaltete sich in Guntram zusehends der eherne Wille, dem dreisten Wegelagerer das Handwerk legen zu wollen. Wohl hatte sich die kühne Heldentat des jungen Jägers allenthalben in der weiteren Umgegend herumgesprochen, obgleich jener höchst bescheiden dabei tat und nichts sehnlicher wünschte, als seinen Ruhm durch eine weitere kühne Tat zu mehren. Es kam ihm dabei sehr zustatten, daß – kaum, da die Botschaft vom Drachentöter auf der Feste des Kastellans Siebich bekannt ward, wo sich auch die Königsfamilie verweilte – ein königlicher Bote sich bei dem Jägerhause einfand, im Gefolge zwei vollblütige Streithengste aus des Königs vielberühmten Gestüt. Der König selbst ließe sich untertänigst empfehlen und schicke dem mächtigen Drachentöter diese zwei Rosse nebst dem freudigst gehegten Wunsche, ihn demnächst selbst einmal auf seiner Burg zu empfangen. Guntram indessen entließ den Gesandten mit fürstlichen Dankesworten und dem Versprechen, daß er, sobald er sich solcher ihm erwiesenen Ehre würdig erfinde, wohl einmal der Einladung nachzukommen denke. Eher aber wolle er dazusehen, ob es ihm nicht gelingen möchte, seinem Rufe auch in einigem Maße zu entsprechen. Da begab es sich eines Abends – die Großmutter lag schon zu Bette – als Guntram bei seinem Nachttrunk saß. Da gesellte sich zu späterer Stunde der junge Wolfhart, der eben in schmucker Jägertracht vom Forste kam, zu demselben und eröffnete ihm unverhofft, daß er es seinem älteren Vetter gleichtun wolle und nun ebenfalls ein Heldenstück zu bestehen hoffe, das seiner ganz und gar würdig sei, nämlich einen Riesen, von dem ihm ein benachbarter Flurschütz unlängst erzählt, zu züchtigen. Er habe sich schon lange mit diesem Gedanken getragen, und da sein Vetter ja nun berühmt sei und zwei herrliche Schlachtrosse im Stall habe, so bäte er sich das Vorrecht aus, ihm die Erlaubnis für das Wagestück zu erteilen und ihm vielleicht, wo es ihm gefällig erschiene, eines der Pferde zu überlassen. >O nein, mein teurer Vetter<, hatte Guntram geantwortet, >zu jung noch sind deine Jahre, zu gefährlich das Unternehmen, zu hoch geht dein Sinn; ich selbst wohl wollte den Unhold kaum bezwingen, doch ist mein Entschluß gefaßt, schon morgen nach demselben auszuziehen; du siehst, ich selbst habe es mir in den Kopf gesetzt, den Räuber in seiner Behausung aufzusuchen, und niemand auf der Welt ist da witzig genug, der mich davon abhalten möchte!< >Du schätzt mich gering, Vetter<, hatte Wolfhart verdrossen ausgerufen; >auf, leg‘ deinen Harnisch an! Dann sollst du sehen, daß ich mitnichten zu jung an Jahren und schwächlich an Kraft, zu unfertig an Geschick sein mag, als du vorgibst!< Im Nu war der Heißsporn in eine alte, gänzlich verschossene Rüstung gefahren, welche einst seinem verstorbenen Vater angehört hatte, und forderte, in der Rechten ein verrostetes Schwert, den Vetter heraus, ihm doch entgegentreten zu wollen, sonst möchte er wohl kaum für den Riesen taugen; da der Jüngling von seinem Vorhaben durchaus nicht abzubringen war, blieb Guntram nichts Anderes übrig, als sich ihm zum Kampf zu stellen. Er wähnte ein leichtes Streiten zu haben, doch siehe: kundig und hart fielen des Vetters Schläge, sodaß sich jener allen Ernstes vorsehen mußte! In der Tat setzte ihm Jung-Wolfhart dermaßen zu, daß er, trotzdem er sich waffenmäßig im Vorteil befand, all sein Können aufbieten mußte, um den Wagehals endlich niederzuringen. Nachdem er aber wohl erkannt hatte, daß Wolfhart sich schon lange heimlich im Waffengeschicke geübt haben mußte und er durchaus einsah, daß der Jüngling ihm von Nutzen sein würde, beschloß er, ihn zur morgigen Ausfahrt mitzunehmen. Wolfhart fiel dem über alles geliebten und verehrten Vetter freudig um den Hals und versprach, sich auch ganz artig benehmen zu wollen.
Der nächste Morgen fand Guntram und Wolfhart schon zeitig zu Pferde; hoch am Himmelszelte geleiteten die ewigen Gestirne noch die beiden Reuter. Als endlich die Mörgenröte strahlend über den Felsen und Wäldern leuchtete, erblickten sie in einer reichen Tiefe ein wohnliches Kloster. Da der Albe Guntram wohl ohngefähr bezeichnet hatte, wo der Riese zu finden war, ihm aber indessen allerlei Einzelheiten wieder entfallen waren, hielten es beide für geboten, noch kurz bei dem Kloster zuzusprechen; vielleicht wüßten ihnen ja die Schwestern mancherlei Nützliches über den Riesen zu sagen. Als sie bei dem Gebäude ankamen, hingen noch flüchtige Frühnebel über den taufrischen Fluren; hier und dort aber sah man schon die jungen Schwestern heiter in den Kreuzgängen einhergehen und ihrem Geschäfte nachgehen; einige mit ernstem Eifer, andere wieder sangen ein fröhliches Liedchen, von welchem die Äbtissin, eine ältere, strenge Frau, meinte, sie frommten eben nicht sonderlich ihrem ernsthaften Dienste. Dieselbe Oberin, welche dem Kloster vorstand, befragten die beiden Ritter nach dem Riesen. Als die Schwestern es gewahr wurden, daß zwei schmucke, junge Reuter in dem Klosterhofe angehalten, huschten die Kecksten unter ihnen sogleich neugierig näher. Auch Guntram und Wolfhart bemerkten wohl, daß die Mädchen, obgleich Nonnen, sie nicht eben unhübsch bedünkten. Erst als die Oberin das stille Wohlgefallen sah, das in den Augen ihrer reizenden Schwesterlein ebenso glänzte wie in denen ihrer beiden Gäste, scheuchte sie die ganze neugierige Gesellschaft verdrießlich fort. Als sie sich mit den beiden Rittern alleine befand und diese sie über ihre Mission unterrichtet hatten, fing sie sogleich gar laut zu jammern an, wie sehr sie doch alle unter dem Riesen zu leiden hätten; alljährlich zweimal hätte ihm das Kloster Zins zu liefern, anderenfalls drohe er dem Kloster gehörigen Schaden anzutun! Nachdem die Beiden bald merkten, daß es der Alten nur um das Gut ihrer Abtei zu tun war, drängten sie darauf, alles Notwendige in Erfahrung zu bringen, was ihnen für ihr Unternehmen von Nutzen sein könnte. Froh, dem eitlen Geschwätz der grämlichen Alten entkommen zu sein und die niedlichen Schwestern in ihrem Los bedauernd, zogen sie alsbald weiter ihres Weges.
Der führte sie zunächst, getreu der Schilderung der Alten, durch einen dichten Wald. Als sie schließlich bei einem halb eingesunkenen Kreuze haltmachten, das am Wegesrand stand und wo ihnen die Alte zuvor geboten, sich links zu halten, setzten sie ihre Reise in eben dieselbe Richtung fort. Ein schwindlichter Pfad führte sie immer tiefer ins Gebirge hinein. Indem sie noch so in einem fortritten, jeder für sich seinen eigenen Gedanken nachsinnend, erreichten sie einen alten Eichwald. Hier stiegen die beiden Gefährten sogleich vom Pferde und banden dieselben an einer starken Eiche fest; eine ungewisse Ahndung sagte ihnen, daß sie nun wohl nicht mehr weit bis zur Höhle hätten, in welcher der Riese hause. Ein schmaler, schlecht ausgetretener Pfad führte sie weiter durch den Wald. Endlich begann jener sich zu lichten, und durch seine Stämme hindurch konnten sie bereits nach der Höhle sehen, vor welcher sie sogleich voll Schrecken den Unhold gewahrten. Der hatte soeben frisch Feuer gepinkt und drehte an hölzernem Spieß ein Wildschwein über demselben. Die beiden Gefährten, welche sich im Walde bargen, erschauderten ordentlich vor der vierschrötigen Gestalt des furchteinflößenden Gesellen; und in der Tat konnten sie sich kaum besinnen, jemals einen größeren Riesen gesehen zu haben. Ein wilder Bart wucherte ihm struppig im Gesichte, in starren Borsten sträubte sich das Haupthaar fürchterlich vom Kopfe; dazu trug er ein an vielen Stellen geflicktes Lederwams und einen Gürtel, an welchem ein großes Waidmesser hing. Nächst dem Eingange zu seiner Behausung lehnte eine mächtige Eisenstange an der Felsenwand. Sie konnten außerdem vernehmen, wie der Unhold zuweilen zufrieden vor sich hingrunzte und in Vorfreude auf den saftigen Braten laut zu schmatzen schien. Dies ärgerte nun Guntram ganz außerordentlich, und im allernächsten Augenblicke sprang er hinter den Bäumen hervor und rief: „Der Teufel soll dir dies Mahl gesegnen, elender Bube, der du bist; auf, nimm‘ dir dein Schwert und wehr‘ dich, und niemand soll mich daran hindern, dir das meinige in den Hals zu stoßen!“ Bei diesen Worten holte er weit mit seiner Lanze aus und schleuderte sie in wildem Ingrimm nach dem Riesen. Letzterer brüllte, vor Schmerz und Wut, getroffen auf; jedoch, dabei wie wild mit den Augen rollend, riß er sich den Schaft der Waffe aus dem Wanst und tappte wütend nach der Eisenstange. Er schlug damit einige Male mit fürchterlicher Kraft nach Guntram, doch diesem gelang es ein jeglich Mal, behende den Schlägen auszuweichen, und, rasch hinzusetzend, gelang es ihm, dem Riesen eine tüchtige Wunde am Bein zuzufügen. Der brüllte abermals ganz schauerlich, sodaß es weitum in der stillen Gegend zu hören war. Dann aber bemerkte Guntram, daß der Furchtbare in eine Tasche seines löcherigen Wamses langte und daraus einen silbernen Ring hervorholte, den er sogleich an einen seiner Finger steckte. „Ei, ei“, lachte der Jüngling, „willst du etwa gar noch zur Freite, du eitler Geck? Da hättest du dir freilich einen besseren Zeitpunkt aussuchen sollen, denn dazu wird nun keine Zeit mehr bleiben!“ Doch es sollte anders kommen; Guntram wußte nämlich nicht, daß der Waldmensch im Besitz eines kostbaren, silbernen Ringleins war, den er einst aus Laurins Hort entwendet hatte und welcher jedem, der ihn nur trug, die Kraft von zwölf ausgewachsenen Männern verlieh. Soeben wollte Guntram rasch hinzuspringen, um dem Riesen einen tüchtigen Hieb zu versetzen; da griff der Unhold unversehens nach seiner Eisenstange und hieb mit solch furchtbarer Kraft nach dem Jünglinge, sodaß jener sofort besinnungslos hinfiel. Auch sein Schwert war ihm entfallen, und hohnlachend näherte sich jetzt der Riese und kniete auf dem wehrlosen Helden, um ihm mit dem Waidmesser die Kehle durchzuschneiden. Als er eben im Begriffe stand, die ruchlose Tat auszuführen, fühlte er sich plötzlich von einer Lanze im Rücken durchbohrt. Laut aufbrüllend wankte der Unhold und krachte dumpf zur Erde hin, wo er gleich darauf sein Leben lassen mußte. Wolfhart war nämlich, als er seinen vielgeliebten Vetter in solcher Bedrängnis sah, sogleich nach seinem Pferde gelaufen und rasch mit verhängten Zügeln durch den Wald gesprengt. Er erreichte die Kämpfenden eben noch zur rechten Zeit, mutig hatte er sein Roß gespornt und dem Riesen die ausgelegte Waffe mitten in den Wanst gerannt. Schwer atmend und an allen Gliedern zitternd, stieg der junge Wolfhart nun von seinem Pferde und bemühte sich sogleich um den auf dem Boden liegenden Vetter. Blaß und bleich war das Antlitz, das ihn unter dem gehobenen Visiere anblickte, doch als er von einem nahen Quell etwas Wasser holte und das Gesicht des Ohnmächtigen damit benetzte, fand der wundgeschlagene Guntram rasch wieder zu Kräften und schon bald schlug er wieder die Augen auf. Zunächst wußte er sich gar nicht recht zu besinnen, was denn nun eigentlich vorgefallen war; dann aber fiel sein Blick wie von ohngefähr nach dem getöteten Unhold hin, und allmählich schien es ihm zu dämmern, daß Wolfhart den Riesen bezwungen haben mußte. „Mein geliebter Vetter“, rief Guntram freudig aus, „du hast es wahrlich verdient um mich, daß ich dich mitgenommen habe, dieses Abenteuer zu bestehen, denn wahrhaft, wie ich sehe, hast du aus eigener Kraft den Unhold besiegt! Kaum wohl weilte ich sonst noch unter den Lebenden, wärst du mir nicht so tapfer und mutig beigesprungen! Komm in meine Arme, mein vielteurer Herzensbruder, und laß mich dich an meinen Busen drücken!“ Glücklich fiel jetzt der Freund dem Freunde in den Arm, und beide weinten vor Freude, daß es ihnen gelungen war, mit des Himmels Beistand ihr Vorhaben glücklich auszuführen. „Ich denke“, sprach Guntram nun, „als der Riese vorhin sich jenen Ring an den Finger steckte und mich gleich darauf so fürchterlich niederschlug, daß es wohl eine besondere Bewandtnis mit dem Ringe haben könnte; ich habe nämlich von dergleichen schon des Öfteren gehört, daß einem solchen Ringe ganz besondere Kräfte innewohnend seien! Laß uns also das Kleinod an uns nehmen, Gott weiß, wozu es uns einst noch nützlich werden kann!“ Nachdem sie solcherlei getan hatten und wieder nach dem Ausgange des Eichwaldes schritten, wo sie das Roß Guntrams noch angebunden vorfanden, ritten sie eilends nach dem Jägerhause zurück, wo sie der besorgten Großmutter schon bald von dem freudigen Ereignis berichteten.




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