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Wer von uns kennt nicht jenes Gemälde Carl Spitzwegs – genannt der arme Poet – wo die Vorstellung vom brotlosen, im ärmlichen Kämmerlein hausenden, anmutige Verse schmiedenden Poeten so recht nach Herzenslust strapaziert wird? Den Großteil von uns mag jene Vorstellung heiter bedünken, wir belustigen und ergötzen uns bei dem Gedanken, wie jener arme Tor zwar in einem fort um Gottes Lohn arbeite und schreibe, aber bei seinem anmutigen Geschäfte voll inniger Anteilnahme doch stets sein vollstes Genügen fände! Ein beschauliches Leben voll stillen Frohsinns, in heiterer Armut zugebracht, tritt dem gewöhnlichen Betrachter sogleich vor Augen, und es sei ihm verziehen: ahnt er doch nimmermehr jene mannigfachen Kümmernisse und bitteren Enttäuschungen, denen sich manch ein armer Poet, der gleichwohl in beständiger Mühsal um ein wenig bescheidene Anerkennung für sein Dasein ringt, ausgesetzt sieht! Denn auch das ärmlichste Kämmerlein, und regnete es gleich zum Dache herein und mangelte es allenthalben an Holz zum Heizen, will schließlich bezahlt sein, und jene seligen Tage, da reiche Gönner noch um die Gunst eines Dichters buhlten, sind freilich ein- für allemal dahin – nicht allerdings jene Tage, in denen es Dichter und Poeten gibt, die ihre edle Sache in aufrechtem Streben in den Dienst an der Herzensbildung der Menschheit gestellt haben und in unermüdlichem Schaffen um ein klein wenig Ansehen und Brot sich abmühen!
Freilich werden nur Wenige verstehen, wie es mit den inneren Bewandtnissen eines solchen Lebens beschaffen ist, denn nur die Wenigsten freilich sind Dichter, und nur die Wenigsten endlich fristen ihr Dasein unter solch kümmerlichen Verhältnissen: und wenn nun das Bild des armen Poeten im nämlichen Gemälde, und nicht minder in den Gedichten zahlreicher Romantiker uns in den buntesten Farben gemalt wird, so wissen wir alle, daß diese verklärte Art der Betrachtung, die uns freilich um ein Vielfaches anmutiger erscheint, nur die eine Seite eines solchen Lebens zeigt – eben jene idealisierte und romantisierte Darstellung, welche allerdings, manche Dichterbilder stellen es genugsam vor, mit der Wirklichkeit zumeist reichlich wenig Gemeinsamkeiten hat. Ich, Thomas von Kienperg, nenne mich nun seit über zehn Jahren einen Dichter – und zwar im vollgültigsten Sinne des Wortes, einen Dichter, wie ihn der vortreffliche Spitzweg in seinem Gemälde uns vorstellt; und ob die Welt nun freilich mit ihrer eigenen Klugheit gar viel zu schaffen hat, und ob die Welt ein solch unbedeutend Poetenschicksal wohl kaum arg bekümmern mag, so gibt es unter all den vielen Menschen vielleicht doch zuweilen den ein- oder anderen, der Anteil an einem solchen Geschicke zu nehmen oder der, durch eine wunderliche Fügung Gottes, sich vielleicht sogar in einer ähnlichen Lage befindet und deshalb einen tröstlichen Widerhall in denselben Worten zu finden vermag. Wollen wir den armen Poeten nun auf seinem mühevollen Wege ein wenig geleiten und zusehen, wie es ihm dabei ergeht!
Dichter Kümmerlich – denn so wollen wir unseren Poeten nennen – hatte, nachdem er in seiner Jugend gar Vielerlei gelesen hatte und namentlich die großen und berühmten Dichter, beschlossen, es selber einmal mit dem Dichten zu versuchen. Kümmerlich hatte sich eben für längere Zeit auf Reisen befunden, war aber nun mit dem innigsten Vorsatze wieder in die Heimat zurückgekehrt, sich ganz der Poesie zu verschreiben. Er setzte sich denn an seinen Schreibpult, und siehe! – die Grazien blieben gottlob nicht lange aus! Gar bald hatte unser Kümmerlich einige höchst anmutige Stücke beisammen, doch wie er dieselben nun an einen Verleger bringen wollte, das wußte er so ganz und gar nicht; hatte er doch beinah sein ganzes, bescheidenes Vermögen auf seine häufigen Reisen verwandt und war noch dazu ohne rechte Anstellung – wahrhaft, er wußte nicht, wie er bei fortdauernder Verlegenheit in der Lage sein sollte, seine vielen Rechnungen zu bezahlen. „Ei freilich“, meinten die biederen Leute dann, „wer sein Geld auf Reisen vertut, der mag immerhin zusehen“, und ach! es sei ihnen verziehen! Glücklicherweise besaß Kümmerlich einen Freund, der ihm ein kleines Kämmerchen gegen geringes Entgelt überließ: jener war hocherfreut, nun wenigstens eine Bleibe zu haben, und sogleich mühte er sich, wieder eine Anstellung zu bekommen, damit er wenigstens halbwegs wohl zu leben hätte! In gleicher Weise mühte er sich, einen Verleger für seinen allerersten Roman, den er erst unlängst fertiggestellt, zu finden. Indes Beiderlei ließ auf sich warten: Kümmerlich befand sich in der höchsten Verlegenheit und fand zunächst weder eine Anstellung noch einen Verleger. Irgendwann jedoch gelang es ihm nach mancherlei Mühen, eine Anstellung zu erhalten, welche ihm gestattete, mit Not das Nötigste zu verdienen, damit er gleicherweise seinen poetischen Neigungen obliegen könne. Diese Anstellung nun war Kümmerlichens poetischer Natur zwar höchst zuwider, doch da er bald einzusehen schien, daß er nur vom Reimeschmieden nicht wohl leben könne, blieb ihm keine andere Wahl. So pendelte er denn unaufhörlich zwischen seinem bürgerlichen Geschäfte und der Poesie hin und her, arbeitete sich in einem fort müde und matt und erwarb dabei kaum das Nötigste zum Leben. Zudem hatte Kümmerlich begonnen, allerlei Verleger anzuschreiben: es müsse doch jemanden geben, so meinte er, der an seinen poetischen Erzeugnissen ein Interesse fände! Indes es schien schlechterdings niemanden zu geben, eine Absage folgte der anderen, sodaß er zuletzt meinte, es werde ihm wohl nie gelingen, seinen Roman, den er, nebst Anderem, unter vielen Mühen fertiggestellt hatte, zu veröffentlichen.
Indes nach einiger Zeit flatterte unserem guten Kümmerlich plötzlich das Schreiben eines Verlegers ins Haus, welcher das allergrößte Interesse an dem Werke zu bekunden schien: er sei unter ganz wenigen in die engere Auswahl gekommen, hieß es daselbst, man wolle ihm schon sehr bald ein entsprechendes Angebot vorlegen. Man kann sich lebhaft vorstellen, welch wohltätige Wirkung jene Frohbotschaft nach all den Bitternissen auf unseren guten Kümmerlich übte: schien er damit doch seinem heißersehnten Ziele in greifbare Nähe gerückt, und schienen seine kühnsten Träume doch nun mit einemmal wahr werden zu wollen! Nach einiger Zeit erhielt er wahrhaftig ein Angebot, das verlockender nicht klingen konnte: eine große Zeit als Dichter stünde ihm bevor, hieß es, und es sei eine große Ehre für ihn, daß man ihn, Kümmerlich, unter so und so vielen für eine Publikation erkieset hätte. Kaum schien er in dieser seiner Wonne, die ihn ganz erfüllte, wahrzunehmen, daß in dem Verlegerschreiben auch irgendwo etwas von einem Druckkostenzuschuß und Publikationsbeitrag stund, welchen er, ganz nebenbei, zu entrichten habe, doch es hätte dies wohl nicht gar viel zu bedeuten, das wolle er, wenn sich das Buch einmal tüchtig verkauft hätte, dann schon wieder hereinbekommen. So geschah es, daß der arglose Kümmerlich in seiner ganzen Einfalt zuletzt einen Vertrag unterschrieb, bei dem er sich verpflichtete, einen Zuschuß, wir wollen mit Verlaub sagen in der Höhe eines Mittelklassewagens, zu leisten – indes dieser Umstand war unserm seligen Freunde in seiner grenzenlosen Verblendung, seinen Roman nun bald gedruckt und allenthalben in den Läden zu sehen, noch kaum bewußt. Mit seinem mühsam ersparten Gelde bezahlte er sogleich die erste Hälfte der Vertragssumme und sah mit freudiger Erwartung dem Tage entgegen, da sein Erstlingswerk endlich erscheinen sollte. Indes der Tag kam – doch seine Erwartungen, ach! wie wurden sie doch so gar bitterlich enttäuscht! Hatte zunächst noch jedermann eifrig nach dem Buche gefragt, solange jenes noch nicht veröffentlicht gewesen war, so schien nun, da es wohlfeil war, niemand mehr etwas davon wissen zu wollen. Freilich gab es im engern Familien- und Bekanntenkreise manchereinen, der nach dem Buche frug – doch schien jene Art der Anteilnahme mehr ein Resultat des guten Willens zu sein als daß man ein wahrhaftes Interesse an dem Buche empfunden hätte! Mit dem ominösen Verleger verhielt es sich ähnlich: sobald jener nun nämlich sein Scherflein ins Trockene gebracht hatte, war mit einemmal nichts mehr von demselben zu vernehmen; und ob der gute Kümmerlich nun zwar mit Recht erzürnt war und den Verleger mit Telefonaten und allerlei Briefen traktierte – stets bekam er ausweichende Antworten, stets mußte er dieselben Lügengeschichten vernehmen, bis er der ganzen Sache endlich überdrüssig ward und sich schweren Herzens eingestehen mußte, von einem Hochstapler und Betrüger über den Löffel barbiert worden zu sein!
Kümmerlich indessen hatte gleichwohl beschlossen, sich durch diesen Fehlschlag nicht entmutigen zu lassen: wohl hatte er unterdessen gar manches Familienmitglied um Geld angehen müssen, da er sonst nicht in der Lage gewesen wäre, die Vertragssumme zu bezahlen, und sah sich nun jenen gegenüber auf die unerquicklichste Weise in Schulden verstrickt; doch hoffte er gleichwohl, diese durch unverminderten Fleiß bald abzahlen zu können. Er erinnerte sich sogleich, daß ja noch einige unveröffentlichte Stücke zum Behufe einer Publikation in der Schublade lagen, und beschloß ungesäumt, einen Verleger dafür zu suchen. Durch die üble Erfahrung mit dem ersten Verleger gewitzigt, verstand er es nun zwar, sich nicht abermals auf ein ähnlich kopfloses Abenteuer einzulassen, einen Verleger jedoch, der auch ohne Druckkostenzuschuß Interesse an seinen Stücken gezeigt hätte, fand er nicht. So kam es, daß Kümmerlich, der nach wie vor guter Dinge war, was die Qualität seines dichterischen Werkes anbetraf, endlich gezwungen war, seine Texte selbst zu verlegen – und zwar über einen Verleger, der, wenn wir die Dinge aufrecht betrachten wollen, eigentlich nur die Bezeichnung einer Druckerei verdient und die Leistungen eines Verlegers zwar anbietet, dieselben sich aber je nach Umfang vom Schreiber bezahlen läßt. Indes es war dies die billigste und vor allem einzige Möglichkeit, welche sich Kümmerlichen darstellte, so er denn sein Werk verlegen wollte, und so hatte er freilich keine andere Wahl. Zwar hielten sich seine Ausgaben für diesmal in Grenzen, doch für den armen Kümmerlich, der, wie wir gehört haben, noch allerlei Schulden zu bezahlen hatte und der für seine bürgerliche Anstellung nur ein geringes Entgelt erhielt, war es allemal genug. Das Interesse an dem nun folgenden Buche, das nebst Anderem auch einige lyrische Stücke und ein Drama enthielt, welche Kümmerlichens Dichtkunst in einem insbesondere vorteilhaften Lichte erscheinen lassen sollten, schien noch geringer als bei dem vorhergehenden. Zusammen mit einem Freunde hatte er während jener Zeit auch begonnen, eine Zeitschrift für Poesie und Philosophie zu verlegen, doch auch der Erfolg dieses Unternehmens war nur ein höchst bescheidener. Oft genug waren vier, fünf Freunde oder Bekannte die einzigen Käufer, die sich fanden, und zu allem Überfluß vergaßen jene auch noch häufig, ihre Zeitschrift auch zu bezahlen, sodaß das Projekt bald weit mehr Geld verschlang als es einbrachte. Der arme Kümmerlich befand sich in der unersprießlichsten Lage: auf Gnadenmiete bei einem Freunde, bei einer Anstellung mit knappem Gelde, fristete er sein Dasein, so gut, als er es vermochte, doch konnte er gleichwohl nicht verhindern, daß er gerade in jener Zeit häufig der Einsamkeit verfiel und an seiner trostlosen Lage schier verzweifeln wollte; allein sein frommer Glaube hielt ihn noch aufrecht, und so vermochte er es trotz der widrigsten Umstände, in denen er sich befand, einen Teil seiner Schulden allmählich zu tilgen, nachdem er früher, in besseren Jahren, da er noch nichts zu darben gehabt, manchen Almosen für die Armen der Gesellschaft hingegeben hatte: es wäre ein solcher ihm nun wohl selber sehr zustatten gekommen!
Allein es stellte sich kein frommer Geber ein, vielmehr ward der arme Kümmerlich weiterhin von allerlei Drangsalen beschwert, doch unbeirrt hielt er an seiner Meinung fest, er hätte von Gott ein Talent erhalten, und er müsse nun allen Fleiß darauf verwenden, es den Menschen mit reichem Zinse zurückzugeben. Kümmerlich war der festesten Überzeugung, er stehe tief in Gottes Schuld und müsse nun den übrigen Menschen einen Teil dessen zurückgeben, was er von Gott umsonst empfangen habe! Schon brütete der unermüdliche Kümmerlich in seinem Kämmerlein wieder über einem Roman, von dem er glaubte, diesmal müsse sich ja doch endlich ein Verleger dafür finden. Fast müßig erscheint uns daher die Feststellung, daß der beflissene Kümmerlich nebenbei noch allerlei Gedichte, Tagebücher, Aufsätze und weiß Gott alles schrieb, indes er wußte nicht, was er damit eines Tages anfangen sollte. Zu mehreren Malen war Kümmerlich bereits mitsamt seinem Freunde, mit dem er die Zeitschrift für Poesie und Philosophie verlegte, in Polemik mit einigen Leuten geraten, welche ihre Künste schmähten und als Albernheiten und kindlichen Unfug abtaten, und waren damit sogar schon zum Gegenstand heftiger Kontroversen an diversen Universitäten und in den Zirkeln hochgelahrter Leute geworden; zu kränken vermochte dies Kümmerlichen zwar nicht, denn zu gering an Geist erschienen ihm jene intellektuellen Emporkömmlinge und Pseudogelahrtheiten, um sie als wahrhafte Kritiker empfinden zu können, doch ihr Verhalten schien ihm gleichwohl zu beweisen, weshalb man sich seiner Dichtung nirgends achtete, sich kein Verleger fand, obwohl er gar Vieles von geringerer Qualität gedruckt und von denselben Leuten hochgepriesen fand, die seine eigenen Werke schmähten – und wenn neben dem Namen Wertherns nicht schon der [mit Recht] vielgepriesene Name Goethens stünde, so meinte Kümmerlich zuweilen, fände wohl auch jener heute ganz gewiß keinen Verleger mehr!
Dessenungeachtet arbeitete Kümmerlich mit vielem Fleiß an seinem Romane, bis er denselben fertiggestellt hatte; um etwa dieselbe Zeit bekam er das Buch eines französischen Philosophen zum Geschenk, welches er allsogleich zu übersetzen beschloß – in der frohen Hoffnung, er möchte dereinst, wenn er damit zu Ende gekommen, wenigstens dafür einen Verleger finden. Der neue Roman ward zuletzt aus Gründen der Notwendigkeit wieder bei demselben Verlag, will sagen bei derselben Druckerei verlegt  – und obwohl ihm dasselbe Los zuteil ward wie seinen beiden Vorgängern, schien er sich dennoch am wenigsten übel zu verkaufen. So setzte der wackere Kümmerlich denn in einem fort seine Gesundheit zu, arbeitete ohne Unterlaß an seinem Werke, zahlte obendrein noch recht redlich und brav seine Schulden zurück und erfüllte bei alledem auch noch seine Pflichten im bürgerlichen Leben – abgesehen davon, daß er, was ihn am wichtigsten bedünkte, beständig für sein moralisches Voranschreiten Sorge trug und sich stets bemühte, seinen Nächsten zu lieben wie sich selbst, wie es ihn der Evangelist gelehrt hatte!
All diese Kalamitäten schienen den wackeren Kümmerlich nicht zu beirren: zwar war er unterdessen zusammen mit einem Freunde in ein Haus in die Stadt gezogen, doch auch dort bewohnte er nur ein armseliges Kämmerlein, in welchem er ohne Unterlaß dichtete und mit Eifer bei seinen Übersetzungen saß – stets mit der bangen Hoffnung im Herzen, es möge ihm dereinst vergönnt sein, die bescheidenen Früchte seines Fleißes zu ernten. Indes ein weiterer Roman Kümmerlichens ward verlegt – will heißen, von ihm selbst bezahlt, und obwohl er unterdessen durch unausgesetzte Sparsamkeit die meisten seiner Schulden getilgt hatte, konnte seine finanzielle Lage nichts weiter als eine kümmerliche genannt werden. Zwar war Kümmerlich selbst der Meinung, daß seine Poesie nun beständig besser werde – doch alle übrigen schienen keineswegs derselben Meinung zu sein, und wenn er gelegentlich darüber nachsann und dann überschlug, wieviel Zeit, Geld, persönliche Ausdauer und Beharrlichkeit er in seine Dichtungen gesteckt hatte, da drehten sich ihm schaudernd alle Sinne; auch hatte er unterdessen durch Bekannte einen Auftritt im Internet veranlaßt, wo er nun seine Werke präsentieren konnte – doch auch das kostete Geld, und auch diese Art von Werbung, die er recht eigentlich entgegen seine Neigung und überdies aus angeborener Bescheidenheit nur höchst sparsam betrieb, verschlang jene paar Cent, die er zuweilen mit seinen Büchern verdiente, sodaß er immer mehr Geld zusetzte und nur desto weniger zurückbekam! Zwar erhielt er, wenn wir die Dinge aufrecht darstellen, bisweilen auch manch ein Lob, und dies sogar von Leuten, die etwas von ihrer Sache verstanden – doch die leider nichts vermochten, was dem armen Kümmerlich wahrhaft weitergeholfen hätte – hätten sie es vermocht, sie hätten gewiß alles für ihn getan!
Kümmerlich konnte nun zwar bereits auf vier Publikationen zurückblicken – doch – er hatte sie am Ende ja alle selber mit teurem Gelde bezahlt, und es war weit daran gefehlt, daß er damit auch nur einen müden Cent verdient hätte – er hatte vielmehr ein halbes Vermögen in die Sache hineingesteckt. Auch tauchten immer wieder Leute auf – Leute, die es zwar gut mit ihm meinten, die aber gleichwohl nicht wußten, was für Kümmerlichen am wichtigsten war, nämlich ein Ehrenmann zu sein – die ihm rieten, er solle doch zur Abwechslung einmal etwas Anderes schreiben – etwas, das die Leute interessiere, bei seinem Talente könne das doch so gar schwierig nicht sein – noch dazu, wo man doch allenthalben sähe, wie Leute ohne Verstand in den Tag hineinschrieben und gleichwohl ein Vermögen damit verdienten! Nur wenige wohl begriffen, wenn Kümmerlich dann meinte, dergleichen sei gegen seine Ehre, und er wäre doch toll und voll, wenn er Geringeres liefere als er vermöchte – liefe doch auch der Schnelläufer nicht mit Absicht langsamer, damit er etwa in besserem Ansehen bei den Leuten stünde! Er, Kümmerlich, müsse sich schließlich ja jeden Morgen in den Spiegel sehen und Rechenschaft für sein Handeln geben, und wenn es auch gleich nicht das schönste Gesicht sei, welches ihn daraus anblicke, so könne er es doch allmorgendlich mit gutem und reinem Gewissen und im Bewußtsein ansehen, sich selbst treu geblieben zu sein und vor sich selbst wie vor Gott bestehen zu können! Gar viele freilich verstanden das nicht, vielmehr hielt man ihn nun allenthalben für einen überspannten Schwärmer und torrechten Faselanten, der sich mit seinem naiven Gottesglauben und einer längst überholten Philosophie über die Tatsache hinwegtröste, daß er es im Leben zu nichts weiter gebracht habe! Kümmerlich indes blieb seinen Überzeugungen und Maximen gleichwohl getreu und wich nicht einen Fußbreit von seinem Wege ab!
Nun – Kümmerlich hatte all die Zeit her mit vielem Fleiß in seinem bürgerlichen Berufe gearbeitet und sich durch ein sparsames Leben, zusammen mit seiner Gefährtin, die ihm seit einigen Jahren trefflich zur Seite stund, endlich eine kleine Mietwohnung zu leisten vermocht – schien auch dem guten Kümmerlich endlich einmal das Glück zu leuchten: er hatte, nach Jahren unermüdlichen Schaffens, endlich jene Übersetzung des französischen Philosophen fertiggestellt und erhielt nun, ganz und gar entgegen seine kühnsten Erwartungen, richtig ein Angebot von einem großen Verleger, seine Arbeit zu publizieren: nicht nur, daß er diesmal nichts dafür zu bezahlen hätte, nein, es winkte ihm, der noch nie einen Cent mit seinen Dichtungen verdient hatte, überdies auch noch ein für seine Begriffe recht stattliches Horonar, und er konnte es zunächst kaum glauben, daß nun richtig einer der größten Verleger im Begriffe war, seine Übersetzung herauszubringen! Durch die glückliche Fügung ermuntert, begann er sogleich mit der Niederschrift eines neuen Buches, des fünften in seinem nunmehr über zehnjährigen Dichterleben, welches eine Anzahl von Novellen enthalten sollte, und stellte dies, bedingt durch seinen neu verjüngten Schaffensdrang, bereits nach ziemlich kurzer Zeit fertig! Voll froher Hoffnung überließ er sich nun ganz seinem Schaffen, unermüdlich war er für den Verleger geschäftig, unterzog sein Manuskript unzähligen Korrekturlesungen, damit auch gewiß alles am rechten Platze sei, und war damit noch vor Ablauf der vereinbarten Frist zur Stelle! Einen Vertrag vom Verleger hatte der gute Kümmerlich zwar noch nicht erhalten, doch der gute Name des Hauses schien ihm fürs Erste Bürgschaft genug! So korrespondierte er denn eifrig mit den gelahrten Damen und Herren des Verlegers hin und her, verfaßte manch eine Epistel für französische Professoren und Verlegerdirektoren, um die Erlangung der Rechte zu erwirken, doch bei jenen Aussichten, die sich ihm nun zu eröffnen schienen, ging ihm all dies begreiflich recht leicht von der Hand. Auch hatte er unterdessen mit der Verlegung seines Novellenbandes begonnen; und ob er für sein eigenes dichterisches Werk auch gleich noch keinen Verleger auszumitteln gewußt hatte und dasselbe auch weiterhin aus eigener Tasche bezahlen mußte, so erschien ihm diese Last nun umso geringer, als er ja soeben im Begriffe war, die ersten, hartverdienten Früchte seiner Schreiberlaufbahn zu ernten – ja, seine Hände gleichsam nach den goldenen Äpfeln der Hesperiden auszustrecken. Indes die neidische Parze schien für den ahnungslosen Kümmerlich diesmal einen Schicksalsfaden der besonders raffinierten Art ausgesponnen zu haben: denn als er sich seinen frohen Hoffnungen eben am heitersten überließ, da ereilte ihn die verhängnisvolle Kunde, daß der Verleger sich nun doch eines Anderen besonnen hätte und aus diesen und jenen Gründen die Verlegung seines Werkes nicht weiter betreiben könne! Kümmerlich schien aus allen Wolken zu fallen: hatte er doch unterdessen dutzende von Briefen geschrieben, unzählige Kollationen und Korrekturlesungen vorgenommen, zahllose Briefgebühren bezahlt – und das alles, um nun, da sich der Verleger im Besitze seines Werkes wie aller erforderlichen Einzelheiten befand, die für eine Publikation nötig waren, zu erfahren, daß man seiner nicht mehr bedurfte? Und da fiel es ihm mit einemmal aufs Herz, wie er, im Vertrauen auf den guten Namen des Hauses, es versäumt hatte, auf die Ausfertigung eines Vertrages zu dringen! Nun schien mit einem Mal alle Mühe vergeblich – nachdem bis zuletzt alles so hübsch ausgesehen hatte und sein, Kümmerlichens Buch, bereits allenthalben in den Läden angepriesen worden war – ach! wie zerstoben doch nun mit einemmal all die bunten Träume, denen er sich in manch müßiger Stunde, voll froher Hoffnung, überlassen hatte, um unwiederbringlich in Nacht und Nichts zu zerrinnen! Man kann sich lebhaft vorstellen, wie dem armen Kümmerlich dabei zu Mute war! Und da er es zuletzt, gleichsam ein Actus der Verzweiflung, noch unternahm, einen anderen Verleger für sein Werk zu gewinnen, so war es diesmal daran gefehlt, dafür die Rechte zu erwerben, sodaß er des gesamten Unternehmens, das ihn manche Stunde harte Arbeit und manches Jahr bangen Hoffens gekostet hatte, überdrüssig ward und endlich begrub. Und obwohl er mit diesem Schritt eine der großen Hoffnungen seines Dichterlebens zu Grabe tragen mußte und ihm gleichsam war, als wäre ihm damit ein Kind gestorben, das er unter Schmerzen im Geiste geboren hatte – er trug das ihm auferlegte Schicksal wie ein Mann! Und mit dieser letzten und härtesten Heimsuchung Gottes erwies sich an dem leidgeprüften Kümmerlich, daß er in all den Jahren voll der innigsten Beschäftigung mit seinem Glauben und der Philosophie viel Köstlicheres erlernt hatte als ein Buch zu verlegen und sich in eitlem Ruhmesglanz des Dichters Lorbeerkranz an die Stirne zu heften: dem widrigen Geschicke tapfer die Stirn zu bieten! Wer Solches vermag, der braucht nicht um das im Irdischen Verlorene zu trauern – den herrlichsten Sieg des Geistes hat er erfochten, den Sieg über sich selbst!
Wir wollen denn nun, gütiger Leser, den vielgeprüften Kümmerlich in seinem Kämmerlein wieder sich selbsten überlassen und dürfen gleichwohl voller Zuversicht annehmen, daß er niemals an sich selbst verzweifeln und stets festhalten werde an den vielbewährten Lehren des christlichen Glaubens und der Philosophie, welche sich edler noch als in den vortrefflichsten Büchern im Leben jener Menschen zeigen, die auch ungeachtet äußerlichen Mißerfolgs und widriger Geschicke imstande sind, herrliche Siege im Geist zu erfechten und durch ihren ungebrochenen Lebensmut allen Menschen zum Vorbilde zu dienen und Gefallen bei Gott zu finden! Und das nun eben war es ja, was Kümmerlich für sein Dasein sich vorgesetzt hatte!



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