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Es mag so manchereinen unserer Zeitgenossen ordentlich verwundern – wenn nicht gar so recht verdrießen – daß wir an unserer Zeit nun so ganz und gar nichts Haltbares zu finden wissen. Freilich könnte man sich ebensogut darauf verlegen, die positiven Seiten derselben einer eingehenderen Betrachtung zu widmen; demungeachtet würde dies für das durchaus moralische Individuum eine beinahe vergebliche Operation bleiben, wenn wir notwendig davon ausgehen, was denn nun einmal der Gegenstand unserer Untersuchungen sein muß, was ergo reell ist [und so weiter durchaus]. Selbst derjenige, welcher dieser Behauptung irgend zu opponieren geneigt ist, wird gestehen müssen, daß, wenn wir nun zum Exempel einmal unsere sogenannten Massenmedien betrachten – (wobei in demselben Worte >Massen<, im Gegensatz zum Medium an sich, schon der triviale und profane Charakter desselben begründet liegt) – daß diese endlich nur ein scholastisches Aggregat der allerübelsten Effektehascherei, lediglich fundierend auf jener dem menschlichen Naturell innewohnenden Perversion, jenem unausrottbaren Hang zu negativen Sensationen, darstellen. Wer wollte da etwa immer noch in Abrede stellen, daß – ob nun in den verschiedensten Zeitungen, in Rundfunk, Fernsehen oder gar unseren jüngeren, multimedialen Errungenschaften – mehrstenteils durchgehends negative Schlagzeilen, noch dazu in der schalsten und langweiligsten Manier, sich ein buntes Tête-à-tête geben, welches alleine darin zu brillieren vermag, daß sich dieselben Artikel an billiger Effektehascherei und ausgemachter Armseligkeit wechselseitig auszustechen suchen. Hier ein Banküberfall; dort sexuelle Notzucht; nur gut, daß von Zeit zu Zeit gewisse Leute rasend werden! Vielleicht gibt es ja doch, zwischen dem übrigen, monotonen Einerlei, einen tüchtigen Mord oder aber gar einen wahrhaftigen Amoklauf! Das bewegt die Gemüter und regt auf, der Plebs schreit und wettert in einem fort dagegen – wie schlecht doch eigentlich die Welt wäre, und es müsse doch endlich einmal etwas geschehen! Dazu soll es aber doch so ohngefähr alle halbe Jahre einen Terroranschlag geben oder irgendein Attentat, auch die alljährliche (?) Kriegsberichterstattung aus den bekannten Krisengebieten, selbstredend unmittelbar vom Schauplatze, sollte keineswegs fehlen; und weil das alles dem pervertierten Heißhunger der Masse noch nicht vollständige Satisfaktion verschaffen will, werden auch noch mit schöner Regelmäßigkeit echte Gänse bunt dazwischengestreut, da sich für mittelmäßige Enten seltsamerweise keiner mehr recht begeistern will! Da wird denn gelogen, daß sich die Balken biegen – aber was tut’s, Hauptsache, das ökonomische Prinzip funktioniert! Und wenn auch unter den kleineren Feuilletons bisweilen eine positive Sensation abgedruckt sein mag – was hilft’s am Ende! Es hat vielmehr den Anschein, als geschehe derlei nur des schlechten Gewissens wegen, weil man ja denn doch auch ein besseres Ego besitzt, welches eben auch einmal nach einer schnellen Fußwaschung schreit! Es werfe uns also niemand vor, wir kujonierten unablässig völlig menschliche Schwächen, noch weniger, daß wir ja selbst um nichts besser wären; und wenn wir auch gleich nicht selbst von uns behaupten, besser zu sein als jenes >justemilieu<, so affiziert uns dergleichen doch eben in einem Grade, daß wir es gleichsam als unsere Pflicht erachten, dagegen irgend vorgehen zu müssen, weil wir derlei Dinge eben nicht nur an anderen, sondern zunächst an uns selbst verurteilen! Es scheint freilich überflüssig, noch anzumerken, daß der Großteil sich lieber mit dem schlechteren Übel eines durchaus unzuträglich zu bezeichnenden Zustandes begnügen will als sich dem für sie noch größeren Übel, nämlich der Amelioration dieses Zustandes, zuwenden zu müssen.
Indem wir also folgerichtig feststellen, daß Moralisten und Philosophen im Grunde nur Rabulisten und Unzufriedene sind, die namentlich ihre Zeit und ihre Zeitgenossen vorzüglich zu kritisieren pflegen, sei hier noch einmal klar bemerkt, daß eben zweierlei insbesondere unterschieden werden muß: unser besseres wie unser schlechteres Ego nämlich! Es ist, von diesem Standpunkte aus betrachtet, keineswegs unrichtig, wenn wir behaupten, daß wir das bessere Selbst in uns stets über alles geliebt haben und immer lieben werden! Wo allerdings ein der Art großer Aufwand betrieben wird, fort und fort unser schlechteres Ich so überaus vordringlich auf die Etalage zu stellen – freilich nur höchst spärlich bemäntelt von einer Heuchlerei der allerübelsten Art und Weise – da kann und muß endlich eine Antipode, ein Gegenprinzip wirksam werden, welches jener entfremdeten und selbstentfremdeten Sichtweise nun diametral entgegengesetzt ist! Es ist also unwahr, wenn gewisse Leute behaupten, wir seien nur Fletreurs und Anschwärzer einer Welt, von der wir selbst nichts weiter wüßten, als daß sie sich nun einmal eben nicht ändern ließe; unser schlechteres Ich nur befehden wir; nicht jedoch das bessere! Und wenn ihr das so durchaus nicht haben wollt – nun! weshalb setzet ihr dann nicht gleich alles daran, euer besseres Selbst in einem Grade gleichsam zu autorevolutionieren, sodaß das schlechtere Selbst daneben nur mehr in einem völlig menschlichen und gerne zu tolerierenden Lichte erscheint, anstatt fortwährend als ein mutwilliges und willkürliches Werkzeug eurer jämmerlichen Selbsterei. Es erscheint ferner genugsam deutlich, daß sich das Wesen der Menschheit niemals ändern wird! Infolgedessen, so möchten jetzt etwa einige fragen, weshalb gebt ihr euch dann so viel vergebliche Mühe? Weil wir verhindern wollen und werden, daß auch noch jener kleine Rest, der dieser müden Weltseele noch ein einigermaßen gesundes Pneuma einhauchen will, von dem üblen Moloch verschlungen wird! Wie, frägt euch doch nur selbst, möchte es etwa dann aussehen, wenn niemand mehr landauf, landab das bißchen Mut aufbrächte, gegen eine erdrückende Mehrheit zu konsurieren? Liegt das Recht denn etwa naturgemäß bei der Masse? Ja, hätte diese jenes Privileg nur für sich gepachtet, so bestünde der Großteil der Menschheit aus lauter Denkern und Philosophen, wir dagegen, für die Goethe, Machiavell oder auch Kant keine leeren Begriffe sind, wären ein Haufe voll Tölpeln und Toren; nachdem die Welt aber nun diese großen Geister der Geschichte, wie sie da soeben vorgenannt wurden, als durchaus beispielhaft agnoszierte, will das mit den Tölpeln und Toren auf keinen Fall mehr passen! Wenn es also nicht zutrifft – könnte es dann etwa sein, daß dem Einzelnen nur des Mutes ermangelt, sich ohne Konzessionen zu seinem besseren Selbst zu bekennen – ohne indessen die Notwendigkeit des schlechteren als durchaus menschlich außer Acht zu lassen? Wir, die wir eine solche Auffassung vertreten, halten dieses letztere freilich für ausgemacht. Es werden sich auf diese Behauptungen auch nur höchst wenige Retorsionen finden, welche nicht zu einer Farce herabsinken. Wenn es sich also im Folgenden so verhält, wie wir das vermittelst des bisher Gesagten genugsam Grund zur Annahme haben – warum findet ihr es dann nicht für das Gemeinwesen sowohl, als auch für jeden Einzelnen unter uns und euch, der Mühe wert, sich von einer Programmatik, die ausschließlich den sinnlichen Vorteil will, abzukehren, um an ihrer Statt den geistigen wie den seelischen Bewandtnissen gediegenen Raum zu schaffen, sich frei entwickeln zu können? Wir wissen wohl, daß ihr dagegen nichts vorzubringen imstande seid, welches eueren Standpunkt in der Tat justifizieren würde! Wir wissen leider aber auch, daß ihr euch bereits nur allzu sehr in euere Methodik verstiegen habt, um eine durchdringende Regeneration des Gesamtlebens noch ernsthaft in Betracht ziehen zu können! Ein wahrhaft revolutionärer Geist wird daher klarerweise für euch immer ein größeres Übel vorstellen als euer System und demnach auch in entsprechender Weise als Übel behandelt werden! Jene anderen aber, die, geleitet von einer fast krankhaften Velleität, nur kraftlos dagegen ein wenig Lärm machen, läßt ihr gerade eben gelten; kein Wunder auch, da sie ja ohnedies, einer Kokotte ähnlich, mit euch liebäugeln und außerdem ein bißchen Kritik ja nie von Schaden sein kann – solange, als sie nur nicht eben zu herbe ausfällt – um nur einigermaßen glaubwürdig zu erscheinen. Denn so klug seid ihr allemal, um zu wissen, daß es ohne etwas Kritik nun einmal nicht abgehen kann! Genug damit; allein es ist ja durch bloße Kritik noch nichts geschehen, wo man nicht auch gleichermaßen Lösungen und Vorschläge an die Hand gibt, um einem als ungenügend erkannten Zustande die notwendige Remedur zu schaffen! Die Verantwortung hiefür tragen – wiewohl jeder einzelne unter uns bis zu einem gewissen Grade – so doch vorzüglich jene, Politiker und Staatsmänner, die unseres Staates, unseres Volkes Zügel führen! Wer sonst wohl vermöchte auf das Volk nachhaltig einzuwirken wenn nicht die Regentschaft desselben? Kann man denn vom Volke verlangen – einige wenige unter ihm etwa ausgenommen – daß es imstande sein wird, sich selbst zu regieren? Wohl kaum, denn dafür ist der Staatskörper eine viel zu komplexe Materie, und es bedarf in der Tat einer gut koordinierten und wirksamen Führung – einer moralisch-philosophischen wohlgemerkt – die den Leuten mit gutem Beispiele vorangeht, ihr Leben mit einem gediegnen, moralischen Sinn zu durchdringen und zu sättigen. Platon hat deshalb wohl recht, wenn er sagt:

>Wenn nicht entweder die Philosophen Könige werden in den Staaten, oder die jetzt sogenannten Könige und Gewalthaber sich aufrichtig und gründlich mit Philosophie befassen, und dies beides in eins zusammenfällt, politische Macht und Philosophie, unter denen aber, die jetzt getrennt voneinander je eines der beiden Ziele verfolgen, diejenigen, die ihrer Natur nach bloße Politiker sind, zu völligem Verzicht gezwungen werden, gibt es keine Ende des Unheils für die Staaten, ja, wenn ich recht sehe, auch nicht für das Menschengeschlecht überhaupt!<

Aufgrund des Vorhergehenden mag jeder einzelne die Schuld zunächst bei sich selbst erwägen, und ist er damit ins Reine gekommen, so mag er mit sich selbst zu Rate gehen und etwa folgendermaßen fragen: Wer ist das Gesetz? wer verfügt über die pragmatischen Möglichkeiten, jenes System tätig zu beeinflussen? Doch wohl nur die Regierung! Und das sei euch allen nur einmal ernsthaft gesagt, euch allen, die ihr sämtlich Ämter bekleidet, mit derentwillen Hilfe ihr durchaus imstande wärt, etwas zu unserem, wohl auch zu euerem eigenen Besten zu bewegen! Allein es ist gar leicht begreiflich, weshalb ihr daran kein ehrliches Interesse zeigen wollt: weil ihr dadurch euere eigene Macht, euern eigenen Einfluß untergraben würdet! Auf dieser schlichten Weigerung beharrend, habt ihr euch gleichsam ein Volk voll williger Marionetten gezogen, indem ihr allenthalben mit euren leeren, gleich einem Papageien eingetrichterten Sentenzen aus der eristischen Schule der Wortverdreherei angetingelt kommt, garniert mit allerlei politischen und ökonomischen Terminologien, um euch mit guter Zuversicht und noch mehr Absicht auch durchaus ins Unverständliche hineinbegeben zu wollen; denn wie sollte euch denn das einfache Volk auch bloß verstehen, das ja doch keineswegs die gebildeten Stände ausmacht, wohl aber den Großteil derselben! Vielmehr seid ihr es, welche die Verantwortung von Tausenden und Millionen und mehr Menschen tragen; euch aber ist es einzig darum zu tun, euere Macht nach besten Kräften unantastbar zu machen, zu hypokritisieren usw.
Verantwortung, wo sie zu rechtfertigen gilt, wälzt ihr von einem zum andern. Ja, euere Parteien sind ja in sich selbst gespalten, nicht bloß untereinander! Sage mir da immer nur einer, wie ihr auf solche Weise vernünftig ein Volk zu regieren gedenkt, wenn in euren eigenen Reihen nur Zank und Hader herrscht? Nur dann, sooft jemand euere Methodik, welche ja allenthalben dieselbe ist und gar leicht zu durchschauen, im Ernste hinterfrägt, ja dann freilich wißt ihr euch plötzlich, was einige unter uns doch etwas verwundern sollte, zu vertragen, seht ihr damit doch euere eigenen Interessen gefährdet, um die ihr – das Volk indessen durch allerlei Art von Manipulationen verblendet haltend – sonst untereinander buhlt! Nun, ihr erbärmliches Gezücht, treff‘ ich’s wohl richtig damit? Ja, und das ist nun das Eins und Alles eurer kläglichen Philosophasterei, daß ihr allem und jedem euere Teilnahme und Unterstützung versagt, welches besser ist als ihr selber! Ich stürze euch von eurem mephitischen Throne, ihr verdammten Usurpatoren und Hypokriten, ihr, eine Schlangenbrut von Potentaten, Opportunisten und Lügnern! Ja glaubet ihr denn wahrhaftig, ihr könntet einem gewandten Geiste euere Kläglichkeiten unterschieben, ohne daß wir es merkten? Wir wissen indessen sehr gut, daß wir einen harten Stand haben werden, um etwas Gescheites (mit euch, oder gegen euch, sucht’s euch aus) bewirken zu können! Doch solange es Moralisten und Philosophen gibt – und diese wird es gottlob immer geben – so lange werdet ihr schon wohlfeil damit abkommen müssen, ob es wirklich die Tugend ist, die ihr der Welt so gerne als solche verkaufen wollt! Denn ihr seid möglicherweise Makrobiotiker, aber eben leider noch nicht unsterblich; und das ist erst der rechte Anfang, wo wir vorläufig endigen wollen!




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