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Mit der nachfolgenden, kurzen Erzählung möchte ich meiner inzwischen leider dahingeschiedenen Katze Dschanni ein Denkmal setzen. Schon seit frühester Jugend hatte ich Tiere immer geliebt, wenn der torrechte Sinn meiner Kindheitstage auch mancherlei Unfug mit ihnen getrieben; ganz besonders die Katzen hatten es mir angetan! Diese geschmeidigen und behenden, auf leisen Tatzen schleichenden, schmeichelnden, schnurrenden Wesen übten eine unvergleichliche Faszination auf meine Seele aus, so wie ich denn überhaupt an allen Tieren stets jene unverfälschte Natur bewundert und geliebt hatte, in der jedes einzelne dieser wundersamen Geschöpfe seiner Bestimmung lebt. Auch in meinem Elternhause war ich von Kindesbeinen an stets von Katzen umgeben: wir besaßen immer wenigstens eines, meistens sogar zwei oder mehrere dieser wunderbaren Geschöpfe, an die ich mich zum Teil noch heute auf das lebhafteste zu erinnern vermag; und dennoch ragt Dschanni als eine Zierde ihres Geschlechtes unter den vielen ihrer Artgenossen, denen ich bisher begegnet, auf einsame Weise hervor – und das nicht nur deshalb, weil sie die bislang letzte aus der Reihe ihres Geschlechtes war, die ich verlieren mußte! Dschannis Wesen war auf so einzige Weise mit dem meinigen verknüpft, daß ich geneigt bin zu glauben, sie sei, wie es seltene Menschen gibt, eben eine seltene Katze gewesen, deren Zahl sich nicht nach Dutzenden mißt, sondern die uns jene seltsamen Verschlingungen des Schicksals, die wir Fügung nennen, in einer glücklichen Stunde über den Weg führt. Um dem Leser die näheren Umstände dieser sonderbaren Beziehung auseinanderzusetzen, möchte ich nun nach und nach die Geschichte von Dschannis kurzem Leben erzählen.
Eines Tages brachte mein Hauswirt ein kleines Kätzchen ins Haus. Noch am gleichen Abend erhielt ich an meiner Arbeitsstelle, wo ich mich zur bezeichneten Stunde aufhielt, ein Bild jenes niedlichen Wesens zugesandt, sodaß ich mich bereits in das Kätzchen vergafft hatte, noch ehe ich es von Angesicht gesehen. Daheim begehrte ich unseren neuen, kleinen Inwohner begreiflicherweise sogleich kennenzulernen: und als mich das reizende Geschöpf nun mit treuherzigen Augen anblickte, ich es zärtlich in meine hohle Hand nahm, die es noch kaum auszufüllen vermochte und ich innig den feinen, grauen Balg mit den schön geschwungenen, schwarzen Tigerstreifen betrachtete, indem das Kätzchen in einem zu schnurrte, da war es vollends um mich geschehen!
Nun stellte sich natürlich die Frage, wie das allerliebste, kleine Dingelchen denn nun zu nennen wäre: und da uns Namen wie „Tigresse“, „Mignon“, „Lulu“, „Minouche“, „Lili“ und ähnliche Gemeinplätze zu gewöhnlich erschienen, da beschloß mein Hauswirt, dem es eigentlich gehörte, das Kätzchen auf den Namen „Canan“, gesprochen „Dschanan“, zu taufen. Dieser Name stammt, wie ich erfuhr, aus dem Türkischen und bedeutet ungefähr soviel wie „Liebchen“, welches nun freilich ein recht ungewöhnlicher Name für eine Katze war. Mein Hauswirt, seines Zeichens Richter von Profession, erklärte, er habe eine türkische Übersetzerin gleichen Namens, ein gar hübsches Persönchen, und da er finde, seine neue Katze sei wenigstens ebenso hübsch, wäre der Name gut und passend und könne sie denselben in Würden tragen. Ich selbst freilich war mit diesem Namen zunächst nicht wohl einverstanden; ich fand, daß es eigentlich ein recht seltsamer Name für eine Katze war, doch mit gleichsam salomonischer Weisheit entschied ich, sie künftighin einfach nur „Dschanni“ zu rufen. Diese Rufart setzte sich endlich durch: bald rief sie jeder nur mehr bei diesem ihren Namen, und sooft über sie gesprochen wurde, war allerwege von „Dschanni“ die Rede. Bald hatte sich Dschanni ganz an ihren etwas wunderlichen Namen gewöhnt und kam zumeist pfeilschnell herbeigesaust, sobald sie jemand bei ihrem Namen rief!
Nun war es allerdings an dem, daß mein Hauswirt nur selten zu Hause war. Da Dschanni tagsüber allein in der Wohnung zubrachte, beschlossen wir, die Wohnungstür nicht abzuschließen, damit ich gelegentlich nach ihr sehen könne. Anfangs beschränkte ich mich darauf, ein paarmal während des Tages in meines Hauswirts Wohnung hinunterzugehen und nach Dschanni zu sehen. Manchmal, wenn ich das reizende Wesen zusammengerollt auf der Decke des Kanapees vorfand, wo sie mit Vorliebe zu ruhen pflegte, verweilte ich auch für längere Zeit, um mich am Kraulen des weichen Balges sowie ihrem behaglichen Schnurren zu ergetzen. Futter war für Dschanni zumeist reichlich aufgestellt, sodaß ich nur nachzusehen brauchte, ob sich sonst wohl alles in der rechten Ordnung befand. Mit Fortdauer dieser Gewohnheit wurden meine Visiten bei Dschanni immer länger und zahlreicher, sodaß ich fast unmerklich immer mehr Zeit in meines Hauswirts Wohnung zubrachte. Ich spielte mit Dschanni, streichelte Dschanni, sprach mit Dschanni wie zu einem Kinde, und so geschah es allmählich, daß sich Dschanni immer mehr an meine Gegenwart, ich mich hingegen immer mehr an die Gegenwart Dschannis gewöhnte; diese Gewohnheit wich endlich einem innigen Bedürfnisse, sodaß ich es mir kaum anders hätte vorstellen können, als ein paarmal des Tages nach meiner kleinen Freundin zu sehen!
Da nun Dschanni heranwuchs und auch anfing, draußen im Freien ihr kleines Revier zu erkunden, hatte sie bald entdeckt, daß ich nur eine Etage höher im Hause wohnte und folgte mir eines Tages bis in meine Wohnung. Ich hatte anfangs noch die Absicht, sie nicht zu sehr daran zu gewöhnen, da sie ja eigentlich meines Hauswirts Katze war. Allein all meine vernünftigen Vorsätze schmolzen dahin, indem Dschanni sich rasch daran gewöhnt hatte, nun lieber in meiner Wohnung anstatt in jener ihres Besitzers zu verweilen; die Situation hatte sich gründlich gewandelt, und war bislang ich derjenige gewesen, der Dschanni in ihrer Wohnung besucht hatte, so hielt sie es nun offenbar für passender, mir diesen Gang zu ersparen und gleich selber zu mir in die Wohnung zu kommen. Auch meine Liebste meinte zunächst noch häufig, ich solle Dschanni nicht allzusehr an unsere Wohnung gewöhnen, doch was halfen am Ende die besten Vorsätze: sobald ich mich mit ihr alleine befand, war Dschanni auch schon wieder in unserer Wohnung!
Wer nur vermag sich mein Vergnügen vorzustellen, wenn ich nun mit Dschanni spielte und der kleine Schnurrebalg wie eine aufgezogene Pelzkugel durch unsere Wohnung flitzte! Stets war sie heiter und ausgelassen, ich ließ sie nach Bällen springen und nach Schnüren haschen, ich warf allerlei Dinge durch die Wohnung, welche sie zunächst belauerte und beschlich, ehe der kleine Fellknäuel wie ein Pfeil losschnellte und den Dingen hinterherrannte, sodaß sie bei den vielen Biegungen mit ihren Pfoten oft genug auf dem glatten Boden ausglitt und ungebremst in Mauern, Wände, Ziergegenstände und Ähnliches lief, was gar drollig anzusehen war und mir das höchste Vergnügen bereitete! Auch begann Dschanni nachgerade, die von mir geworfenen Gegenstände einem Hunde gleich zu apportieren und mir vor die Füße hinzulegen, indem sie durch ein kurzes, zwiefaches Maunzen zu verstehen gab, ich möge das mutwillige Treiben mir ihr fortsetzen und bloß nicht damit aufhören. Wir mußten über Dschanni oft recht von Herzen lachen, und besonders drollig mutete es an, wenn sie über dem Spiel zuweilen in lebhaften Eifer geriet, die Haare aufstellte und im Seitwärtsgang wie eine Krabbe vor mir zurückwich, ehe sie plötzlich über meinen ausgestreckten Arm herfiel, mit dem ich ihren Spieleifer gerne zu stacheln pflegte und denselben mit solcher Heftigkeit bearbeitete, daß ich vor Schmerz aufschrie und oft tagelang die Spuren ihrer kleinen Reißzähnchen und Krallen an mir herumtrug; und wenn sie auch zuweilen die mannigfaltigsten Kalamitäten bereitete, so schmolzen wir doch männiglich dahin, sobald sie mit hoch erhobener Rute einherspazierte und reumütig um Vergebung miaute! Überhaupt schien Dschanni eine sehr kommunikative und gesellige Katze zu sein: denn während andere ihrer Art kaum viel des Miauens hören ließen, miaute Dschanni bei allerlei Gelegenheiten; ich erklärte dies auf meine Weise, indem ein sehr personenbezogenes Tier, wie Dschanni es war und die ungleich anderen ihres Geschlechtes nie Gelegenheit gehabt, unter ihresgleichen aufzuwachsen, eben ein ganz anderes soziales Verhalten an den Tag legte, indem es meiner Gewohnheit entsprach, mit Dschanni gleich einem Kinde zu reden: zuletzt war es an dem, daß wir einander beinahe blind verstanden, und wenn Dschanni dann miaute und ihren Schwanz, Ohren und Vibrissen in eine bestimmte Position gebracht hatte, da wußte ich für gewöhnlich genau, was sie wollte!
Auch glaubte ich nachgerade die erfreuliche Feststellung zu machen, daß sich Dschannis Gegenwart auf allerlei positive Weise fühlbar machte; denn geschah es zuweilen, daß ich aus irgendwelcher Ursache unmutig war, mich unwohl fühlte oder mit meiner Liebsten uneins war und Dschanni spazierte dann mit erhobener Rute einher, da war mein Ärger sogleich wie verflogen: Dschanni war damit entgegen aller Absicht für mich zu einem wohltätigen Gegenstand geworden, angesichts dessen aller Ärger und Verdruß, die man irgendwelchen Dingen gegenüber hegte, in alle Winde zerstoben.
Freilich verstanden manche, ja vielleicht sogar viele Menschen nicht, wie ich so ganz und gar närrisch auf eine Katze sein konnte: ich mußte mir ja selbst eingestehen, daß meine Fixiertheit auf Dschanni etwas Wunderliches hatte, aber Dschanni war eben auf beinahe unerklärliche Weise etwas ganz Besonderes für mich. Ich hatte, wie eingangs bemerkt, mein ganzes Leben in der Gegenwart von Katzen zugebracht, die ich gewiß auch alle mehr oder weniger geliebt hatte: allein jene Art von Zuneigung, wie ich sie Dschanni gegenüber empfand, lag weit jenseits dessen, wie ich sie den übrigen ihres Geschlechtes stets hatte angedeihen lassen, und fast vermochte ich mir selbst keine Rechenschaft darüber zu geben, auf welche Weise Dschanni es verstanden hatte, mein Herz auf so ganz und gar bedingungslose Weise für sich zu erobern; meine Liebste äußerte sich darüber gelegentlich in folgender Weise, daß sie weiß Gott nicht wüßte, wie mir geschehen würde, wenn Dschanni einmal nicht mehr bei uns sei!
Ich unterließ es denn auch nicht, Dschanni bei allerlei Gelegenheiten hervorzustreichen; und wenn sie dann, zumal wenn wir Besuch hatten, stolz im Garten umherstrich und behende, in ihrer ganzen, erhabenen Majestät, mit dem schönen, zierlichen Tigerbalg, die Gartenmauer entlangstolzierte, da ward ich nicht müde, meine Dschanni zu preisen und von ihren zahlreichen Heldentaten zu berichten, welche sie in meinen Augen Tag für Tag vollbrachte! Freilich war mir bewußt, daß manche meinen Eifer heimlich belächelten, mit dem ich meine vierbeinigte Freundin rühmte, doch ich hatte meine helle Freude daran, und das war mir genug. Mochte man mich für einen Verrückten halten; ich hätte um Dschannis willen noch ganz andere Unbill in Kauf genommen!
Auch erinnere ich mich mit Vergnügen jenes Umstandes, wie meine Liebste es mir fort und fort verwies, wenn ich Dschanni alles durchgehen ließ; auch sie liebte Dschanni, gewiß, aber ihre Zuneigung erkannte eben, im Gegensatz zur meinigen, noch gewisse Grenzen an. So geschah es zum Beispiel des Öfteren, daß sie Dschanni lautstark von unserem Tische scheuchte, auf den sie insbesondere während der Mahlzeiten gerne unerlaubterweise zu hüpfen pflegte. Meine Liebste ahnte natürlich, ja wußte wohl, daß ich Dschannis ungebührliches Verhalten, wenn ich alleine war, selbstverständlich billigte, wenn nicht sogar lobte, und so machte sie mir denn wiederholt Vorstellungen, wie ich es nur zulassen könne, eine Katze auf unserem Tische zu dulden. Ich nahm jene Verweise zumeist von der humorvollen Seite, machte meine Scherze darüber und versprach hoch und heilig, es sei dies gewiß das allerletzte Mal gewesen; doch kam meine Liebste dann nach Hause und blickte vorwurfsvoll auf jene Mulde ihres Bettes, in der Dschanni gelegen und die ich zu glätten vergessen hatte und frug mich mit drohender Stimme, ob Dschanni wieder in ihrem Bette gelegen, da lachte ich und verneinte, obwohl sie natürlich genau wußte, daß ich ungeachtet ihrer wiederholten Verbote Dschanni hatte gewähren lassen; und fand sie dann und wann die verräterischen Spuren ihres feingetigerten Haars im Wäschekorb, der mit frischgewaschener Wäsche vollgepackt war und in dem Dschanni natürlich ebenfalls gelegen hatte, da mußte ich mir denn wieder eine ganze Flut künstlicher Vorstellungen gefallen lassen. Ich aber ertrug diese Dinge um Dschannis willen mit stoischer Gelassenheit und gelobte in einem fort Besserung, obwohl ich freilich keineswegs die Absicht hatte, etwas daran zu ändern und meine Liebste dies auch sehr gut wußte; denn auch sie liebte Dschanni, sodaß sie unsere Verschworenheit zwar immer wieder tadelte, aber ferne davon war, es wahrhaft böse mit uns zu meinen!
Ohnegleichen war auch Dschannis Verhalten im Freien: mit unserem Garten, der sich schön weitläufig präsentiert, besaß Dschanni ein vortreffliches Revier, das sie auch mit wahrhaft königlicher Hoheit zu behaupten wußte! So erinnere ich mich zum Beispiel noch genau eines in der Nachbarschaft lebenden, roten Katers, der Dschanni das Revier einige Male streitig zu machen suchte! Jener kam dann und wann herbei und wagte es dreist, die Grenze zu Dschannis Revier zu mißachten und einfach in unseren Garten zu spazieren. Mit aufgestellten Haaren und buschigtem Schwanz beobachtete Dschanni dann ihren Erzfeind und wagte es doch nicht, sich ihm offen entgegenzustellen, da er ihr wohl zu kräftig erschien. Wurde ich wieder einmal Zeuge eines solchen Vorfalles, so eilte ich Dschanni unverweilt zu Hilfe und vertrieb den frechen Eindringling aus unserem Garten. Mit Vergnügen erinnere ich mich noch an einen jener Augenblicke, wo Dschanni, durch meine Gegenwart angestachelt und mutig geworden, es sich sogar angelegen sein ließ, ihren erklärten Feind noch für eine kurze Strecke die Straße hinunter zu verfolgen, als er auf mein Auftauchen hin die Flucht ergriffen hatte. Stolz kehrte sie wenig später zurück und trottete wie eine Königin in den Garten, als wollte sie sagen: „Dem hab’ ich’s aber gezeigt!“
Ein weiteres Mal hörten wir nächtlicherweile einen fürchterlichen Katzenlärm, sodaß wir – mein Hauswirt und ich – darüber gleichsam erschrocken, sogleich aus dem Hause eilten. Zunächst gewahrten wir nur Dschanni, die auf der Veranda unter den Gartenmöbeln hockte, so böse, wie ich sie noch nie zuvor gesehen hatte! Ihre Haare waren an Schwanz und Nacken buschig aufgestellt, sie hatte die Ohren angelegt und fauchte wie ein kleiner Tiger, mit gebleckten Reißzähnen, nach unserem wohlbekannten, roten Störenfried hin, den wir erst jetzt bemerkten und der wieder einmal ungebeten ihre Kreise gestört hatte; der lief sogleich davon, und damit war der Hausfrieden fürs Erste wiederhergestellt! Übrigens vernahmen wir noch in mancher Nacht durch das geöffnete Fenster zuweilen einen zornigen, durchdringenden Ruf Dschannis, der vermuten ließ, daß sie bisweilen ungebetenen, nächtlichen Besuch erhielt. Allein sie schien mit ihren Feinden schlechterdings fertig zu werden, denn niemals hätten wir an ihr bemerkt, daß sie die Spuren eines nächtlichen Kampfes an sich getragen hätte, immer hatte sie den gleich schönen, feinen und seidigen Balg, der jene schönen Tigerstreifen aufwies, auf die ich so stolz war und um derentwillen ich Dschanni anderen gegenüber häufig als die schönste Katze der Welt zu berühmen pflegte! Überhaupt muß zur Ehre Dschannis gesagt werden, daß wir die ganze Zeit über, in der sie unter uns weilte, keine Marder mehr in unserer Nähe hatten, deren zweifelhafte Gegenwart wir davor oft genug bemerkt hatten; denn jene, fürwitzig genug, waren nächtlicherweile im Mondschein ungescheut auf unseren Boliden herumgetrampelt, und stets waren wir in Sorge, daß sie uns eines Tages einen gehörigen Schaden an unseren Fahrzeugen zufügen könnten. Allein Dschannis Gegenwart, die während der schönen Jahreszeit daran gewöhnt war, die Nächte im Freien zu verbringen, hielt die kecken Gesellen von unserem Hause fern, und erst, da Dschanni nicht mehr bei uns war, kehrten die frechen, kleinen Räuber zurück!
Auch erinnere ich mich noch mit Vergnügen, daß Dschanni den kleinen Hund unseres Nachbarn nicht mochte! Denn sobald jener mit demselben spazierenging und an der Einfahrt unseres Hauses vorüberschritt, pflegte Dschanni drohend zu knurren und nach gewohnter Weise, wenn ihr etwas mißfiel, die Haare an Schwanz und Nacken aufzustellen. Bei einer dieser Gelegenheiten hatte sie der Hund bellend verfolgt, Dschanni aber war flinker gewesen und rettete sich unter den Wagen unserer Nachbarin, die sich im übrigen manchmal auf recht zartfühlende Weise darüber beschwerte, daß Dschanni ihre Reviergänge gelegentlich bis in ihren Garten ausdehnte und dort zuweilen ein zweifelhaftes Geschäft verrichtete; da aber, wie allgemein bekannt, Katzen ihren Unrat gewöhnlich fein säuberlich verscharren, dürfte dieses Problem freilich kein allzu bedeutsames gewesen sein! Dschanni jedenfalls kam, nachdem der Nachbar seinen Hund gerufen hatte und sie sicher sein konnte, daß keine Gefahr mehr drohte, mit prächtig buschigtem Schwanz unter dem Wagen hervor und huschte eilends die Treppe in unsere Wohnung empor!
Überhaupt war es mittlerweile an dem, daß Dschanni, die ja, wie bemerkt, eigentlich unseres Hauswirts Katze war, meine Liebste und mich, insbesondere aber meine Wenigkeit zu ihren neuen Herren bestimmt hatte! Dschanni pflegte nämlich frühmorgens, nachdem sie die Nacht im Freien zugebracht hatte, etwa gegen Glock sechs auf eine Mülltonne hinter dem Hause zu springen, die wir eigens zu diesem Zweck an günstig gelegener Stelle für sie aufgestellt hatten: zum einen konnte Dschanni mit ihrer Hilfe ein Fenster erreichen, das unser Hauswirt den Sommer über stets geöffnet hielt, sodaß Dschanni in Ermangelung einer Katzentüre oder ähnlicher Vorrichtungen jederzeit in seine, unseres Hauswirts, Wohnung, die par terre gelegen war, gelangen konnte; zum anderen konnte sie dadurch an jenes Fenster unterhalb unseres Schlafzimmers gelangen, über dessen Lage das schlaue Wesen genauestens Bescheid wußte! Dort hub sie dann für gewöhnlich ihr allmorgendliches Katzenkonzert an, was für uns das Signal war, die Haustüre zu öffnen und sie einzulassen. Öffneten wir dann zunächst das Fenster und ward Dschanni inne, daß wir ihre Gegenwart bemerkt hatten, lief sie geschwind um das Haus herum und wartete dort so lange vor der Haustüre, bis jemand erschien und sie einließ. Man sah dann bereits durch das matte Glas der Tür hindurch ihren flüchtigen, grauen Schatten, und war die Tür dann nur einen kleinen Spalt offen, huschte sie mit einem munteren Gurren die Treppe empor und anschließend weiter in unsere Wohnung. In der Wohnung ihres eigentlichen Besitzers verweilte sie von nun an kaum noch; ihr erster Weg war immer – husch! – die Treppe hinauf und vor unsere Wohnungstür hin, auf deren Fußmatte sie zuweilen zusammengerollt lag, bis sie dort jemand bemerkte und einließ! Ließ es sich trotz allem einmal nicht vermeiden, daß sie in der Wohnung ihres Besitzers verweilen mußte, so miaute sie hinter dessen Tür so lange auf das beharrlichste, bis jemand die Türe öffnete und sie flink wieder die Treppe in unsere Wohnung emporsauste!
Da ich, wie bemerkt, Dschanni keinen Wunsch abschlagen konnte und sie mit Vorliebe fraß, verwies es mir mein Hauswirt gelegentlich, daß ich seine Katze zu sehr füttere; Dschanni war nicht eigentlich dick, nur etwas rundlich und wohlgenährt, ansonsten aber die gesündeste Katze, die man sich immer nur vorstellen kann! Niemals in ihrem kurzen Leben hatte sie irgendeine Krankheit, niemals war sie verletzt oder hatte Würmer oder auch nur einen einzigen Parasiten in ihrem schönen Balg, und da sie niemals ein Halsband trug, verwunderten wir uns zuweilen selber, wie es möglich war, daß wir niemals auch nur eine einzige Zecke an ihr bemerkt hatten. Kurz, sie war – in meinen Augen freilich noch viel mehr als in denen anderer – die schönste und klügste, und außerdem die charmanteste Katze mit dem besten Charakter der Welt! Trotz dieser schlagenden Argumente erfuhr ich nun des Öfteren Tadel, daß Dschannis Ernährungszustand gar zu eutroph sei; und mußte ich gleich eingestehen, daß sie, besonders im Winter, etwas rundlich wurde, so pflegte ich dann wohl zu sagen: ei, das sei ihr dichter und schöner Winterbalg, das sei einzig und allein ihr Pelz, der sie vielleicht etwas ründlicher aussehen lasse als schicklich, aber ansonsten sei sie nichts weniger als adipös! Freilich konnte ich insgeheim nicht leugnen, daß Dschanni, die freilich sehr gut wußte, wo man ihr Futter aufbewahrte, mit Vorliebe vor jenem kleinen Kämmerchen miaute, was gewöhnlich bedeuten solle, sie habe nun Hunger und begehre zu fressen. Nur selten brachte ich es über mich, ihr diese beharrlich vorgetragene Bitte zu verweigern, und so geschah es, daß sich ihr Besitzer gelegentlich darüber beklagte, daß Dschanni sein, unseres Hauswirts, Futter verweigere und ihr dasselbe offenbar von zu minderer Qualität erschien. Ich mußte dieses Umstandes halber manchen Tadel über mein kahles Haupt ergehen lassen, ertrug es aber um Dschannis willen mit gewohnt stoischer Gelassenheit und trieb damit meinen Mutwillen!
Auch das Jagdverhalten Dschannis war in manchen Stücken ungewöhnlich; um der Wahrheit die Ehre zu geben, muß gesagt werden, daß Dschanni kein großer Nimrod vor dem Herrn genannt zu werden verdiente! Stets, wenn sie dann und wann im Garten einen Maulwurfshügel oder sonst ein Loch im Boden belauerte, gewann ich den Eindruck, als ob sie dies nur aus bloßem Imponiergehabe täte und keineswegs die Absicht hätte, irgendwelche Beute zu machen. Sie erschien mir einfach zu vornehm und bequem für die Jagd, da sie, wie wir gehört haben, ja ohnehin genug zu fressen bekam; aber wenn sie dann doch zuweilen mit einem Maulwurf, einem Vogel oder auch nur einer kleinen Maus daherlief, da blähte sich Dschannis Stolz, als habe sie wie einst Alexander die ganze Welt erobert!
Dschanni war also keine große Jägerin, aber ich erinnere mich noch einer Phase ihres kurzen Lebens, die sie für zwei, drei flüchtige Wochen vorzugsweise im Freien zu verbringen pflegte! Während jener Zeit kam sie stets nur kurz in die Wohnung um zu fressen, danach verlangte sie sogleich wieder ins Freie. Wir wunderten uns damals sehr über Dschannis, wie es schien, jäh erwachten Jagdtrieb, und für kurze Zeit schien es, als wolle doch noch eine tüchtige Jägerin aus ihr werden. Während jener Zeit fanden wir des Öfteren einen toten Maulwurf oder Maus rings um das Haus liegen, doch nicht halb oder ganz aufgefressen, wie dies bei minder wohlgenährten Katzen manchmal der Fall zu sein pflegt, sondern unberührt. Wir sagten uns, daß hinter jenen ungeklärten Mordfällen nur unsere Dschanni stecken könne, und ich begann nachgerade, sie nun auch noch als die größte und tüchtigste Jägerin unter Gottes Sonne zu berühmen; mein Stolz kannte keine Grenzen mehr!
Doch bald schon fand sich, daß Dschannis Jagdeifer rasch wieder erloschen war und sie wieder in ihre vorherige, gewohnte Trägheit verfiel. Gleichwohl erinnere ich mich noch, wie sie kurz vor ihrem traurigen Dahinscheiden noch eine Singdrossel zwischen ihren kleinen Reißzähnen hielt, die ihr ungnädiges Schicksal in Todesfurcht beklagte, da sie so hilflos in Dschannis Schnauze hing, und Dschanni war eben drauf und dran, ihren erfolgreichen Beutezug zu krönen, indem sie über die Treppe nach unserer Wohnung emporlief, um ihre Beute zu präsentieren! Mit stolzer Wildheit blickte sie rings umher, meine Liebste forderte mich lautstark auf, die Wohnungstür zu schließen, da sie keinen toten Vogel in ihrer Wohnung haben wolle! Doch dann schien sich Dschanni ohnehin eines anderen zu besinnen und entschied, die Drossel aus freien Stücken wieder loszulassen, ihr eigener Fang mochte ihr wohl zu beschwerlich geworden sein; denn plötzlich ließ sie den Vogel fahren und jener floh, wie es den Anschein hatte, ohne gröberen Schaden genommen zu haben durch die geöffnete Balkontüre ins Freie hinaus und entkam auf diese Weise seiner launischen Jägerin, die ihm so übel mitgespielt hatte!
Ferner konnte ich bemerken, wie ich, wenn wir zuweilen alle abwesend waren und Dschanni allein das Haus hüten mußte, mit einer gewissen Art von Sehnsucht mich schon an jenem Gedanken ergetzte, nach Hause zu kommen und von Dschanni begrüßt zu werden! Oftmals wartete sie dann bereits sehnsüchtig an der Hauseinfahrt oder schon vor der Haustüre, um uns unter behaglichem Spinnen um die Beine zu streichen und mit jenem Katzen eigentümlichen Gurren und zitterndem, aufgestellten Schwanze zu begrüßen. Und tatsächlich fand ich, daß ich zu Lebzeiten Dschannis, sooft ich mich anderwärts verweilte, viel eher nach Hause verlangte, weil ich wußte, daß sie mich dort bereits sehnlichst erwartete! Oftmals bei derartigen Gelegenheiten dachte ich daran, was sie denn wohl gerade machen würde und ergetzte mich bereits voller Vorfreude an jenem Gedanken, mich von ihr freudig begrüßt zu sehen. Wir wußten stets, daß wir daheim erwartet wurden; es war das Gefühl einer gewissen Verantwortung, daß man für ein Wesen zu sorgen hatte – auch, wenn dieses Wesen nur eine Katze war!
Überhaupt war Dschanni sehr zutraulich, fürchtete Gott und die Welt nicht und schien der Ansicht zu sein, daß es auf Erden für sie keine Gefahren geben könne! Dieser Umstand machte sich für mich zuweilen auf recht beunruhigende Weise fühlbar, indem sie, wenn Autos die unweit des Hauses vorbeiführende Straße entlangfuhren, furchtlos noch einige Meter vorher schnell über die Straße setzte oder, wenn wir selbst mit unserem Wagen nach Hause kamen, ohne Furcht und Tadel inmitten der Einfahrt lag und keinerlei Anstalt machte, sich von dort zu entfernen. Wir alle bekamen Angst, wir könnten sie eines Tages übersehen, und so gewöhnte ich mich daran, jedesmal, sooft ich den Wagen bestieg, auf das sorgfältigste darauf achtzuhaben, ob Dschanni nicht irgendwo im Wege lag, damit ich sie nicht etwa unversehens überfahren möchte! Diese ihre Arglosigkeit bereitete mir zuweilen ernsthafte Sorge – nicht zu Unrecht, wie sich nachgerade herausstellte und wie ihr leider viel zu frühes Ende auch mit Nachdruck bewies!
Und damit wären wir auch schon fast beim letzten Kapitel unserer Geschichte angelangt – jenem von Dschannis traurigem Dahinscheiden! Dschanni erreichte das selbst für Katzen nur höchst bescheidene Alter von gerade einmal zweieinhalb Jahren, und da wir sie irgendwann während des Sommers im Alter von vielleicht einem Dutzend Wochen erhalten hatten, setzten wir ihre Geburt aufs Geratewohl im Mai fest – ein Umstand, der mich bewog, Dschannis Geburtstag jedes Jahr auf feierliche Weise zu begehen, den sie allerdings nur zweimal erlebte! Ich entschied also, da niemand ihr genaues Geburtsdatum angeben konnte, daß es die Iden des Mai gewesen sein mußten, und traf also Anstalt, dieses historische Ereignis standesgemäß zu feiern. Ich erinnere mich noch, daß wir Dschanni bei dieser Gelegenheit tatsächlich ein „Happy Birthday“ Ständchen brachten und sie allerlei Leckerbissen erhielt, welche sie sich auf das trefflichste munden ließ!
Das letzte Mal, als ich Dschanni sah – ich werde jenen Abend des 23. September niemals vergessen – saßen unser Hauswirt und ich gerade auf der Veranda vor dem Hause, um die letzten warmen Strahlen der Abendsonne zu genießen. Ich hatte bereits weiter oben erwähnt, wie Dschanni mit unserem weitläufigen Garten ein vortreffliches Revier besaß und ihre Streifzüge selten einmal über die Grenze dieses Gartens hinaus ausdehnte – höchstens, daß sie einmal zu jener Nachbarin hinüberstreunte, die sich gelegentlich über Dschannis üble Angewohnheit beschwert hatte, in ihrem Garten ihr Geschäft zu verrichten, oder daß sie zu jenem Bauernhof lief, der gleich jenseits der Straße gelegen war. Und in der Tat, genau diesen letzteren Weg schlug sie an jenem außerordentlich schönen Herbstabende ein, da sie nun in ihrer ganzen Majestät, mit stolz erhobener Rute, gemächlich über die Straße trottete und hinter einem hoch aufgeschichteten Stapel Feuerholz verschwand, nebst dem ein kurzer Wiesenpfad dem Hof entgegenführte. Ich besinne mich, daß ich diese Gelegenheit nicht unbenutzt ließ, meines Hauswirts Aufmerksamkeit auf die vornehme Erscheinung Dschannis zu lenken – ohne freilich zu wissen, daß dies das allerletzte Mal gewesen sein sollte!
Denselben Abend, als es schon dunkel geworden war, bemerkte meine Liebste, sie wolle nochmals kurz vor die Haustüre gehen und nachsehen, ob Dschanni noch etwas bedürfe. Dergleichen konnte, zumal wenn man das zuweilen recht eigensinnige Wesen des Katzengeschlechtes in Betracht zieht, gelegentlich vorkommen, und selbst wenn ich manchmal erst gegen Mitternacht von der Arbeit nach Hause kam, kam sie plötzlich von irgendwo dahergetrippelt und huschte, noch ehe ich es zu hindern vermochte, flink durch die Haustüre hinauf in unsere Wohnung. Es war nicht einfach, sie dann wieder aus der Wohnung zu bringen, denn hatte sie sich erst einmal beharrlich darin festgesetzt und hob ich sie dann auf meinen Arm in der Absicht, sie wieder nach draußen zu schaffen, pflegte sie ihrem Unwillen darüber gern mit einem drohenden Knurren Ausdruck zu verleihen. Ich versuchte es daher anfangs mit einer List, indem ich mit dem Futterpapier raschelte und sie mit einem kleinen Leckerbissen nach draußen zu locken suchte; doch nach und nach durchschaute das schlaue Tierchen meinen Kniff und fiel nicht mehr darauf herein, sodaß ich sie wiederum auf die Gefahr drohenden Knurrens hin aus der Wohnung schaffen mußte! Meine Liebste hatte um jenes gefährlichen Knurrens willen einen Heidenrespekt vor Dschanni und bat mich für gewöhnlich, ich möge doch jenen höchst beschwerlichen Akt übernehmen, sie wieder ins Freie zu bringen. Zuweilen aber setzte Dschanni ihren Willen auch durch und es gelang ihr, durch ihr renitentes Verhalten den nächtlichen Aufenthalt in unserer Wohnung zu erzwingen! Geriet sie zuweilen – was selten geschah – in den äußersten Unwillen, nahm sie keinen Anstand, mich auch anzufauchen, was ich drei-, vielleicht auch viermal erlebt habe – doch selbst dann war sie für mich immer noch die prächtigste Katze der Welt!
Denselben Abend also trat meine Liebste noch vors Haus, doch nirgendwo eine Spur von Dschanni. Dies war nun freilich nichts Ungewöhnliches, sodaß wir nichts weiter besorgten und uns zu Bette begaben. Als ich am nächsten Morgen zu früher Stunde das Haus verließ, war ich ein wenig verwundert, da Dschanni bereits häufig auf der Veranda zu warten pflegte und ich sie dann noch schnell in unsere Wohnung ließ. Freilich geschah es auch manchmal, daß sie noch irgendwo auf einem ihrer nächtlichen Streifzüge unterwegs war und ich sie nicht zu Gesicht bekam, also wunderte ich mich lediglich, sie noch nicht anzutreffen und ging meiner Wege. Gleichwohl ich erinnere mich, wie ich darüber ein leises Gefühl des Unbehagens verspürte, da sie weder gestern abend noch heute morgen erschienen war, doch ging jenes Unbehagen nicht eben soweit, daß ich ernsthafte Besorgnis darüber empfunden hätte, meiner Dschanni wäre eine Begegnung der schlimmeren Art zugestoßen.
Am Mittag desselben Tages – ich war in den Bergen unterwegs und erinnere mich, wie ich ins Tal blickte und mich nach gewohnter Weise am Gedanken ergetzte, beim Nachhausekommen von Dschanni begrüßt zu werden – führte ich ein kurzes Telefongespräch mit meiner Liebsten und versäumte nicht, sie bei dieser Gelegenheit zu befragen, ob sie Dschanni angetroffen, da sie später am morgen das Haus verlassen habe; als sie mir daraufhin zu verstehen gab, sie habe Dschanni nicht gesehen, beschlich erstmals eine trübe Ahnung meine Seele. Ich stieg daraufhin talwärts und beeilte mich, nach Hause zu kommen.
Als ich dort ankam, war der Platz vor dem Hause leer! Ich rief überall Dschannis Namen, ging vor das Haus, hinter das Haus, suchte alle Winkel des Gartens ab – vergeblich! Mir war ganz bange zumut, und in wachsendem Maße ward meine Ahnung zur Gewißheit, daß Dschanni ein Unglück begegnet sei! Am Abend desselben Tages gewahrte ich zufällig unsere Nachbarin im Garten nebenan und frug sie, ob sie unsere Katze gesehen habe – umsonst! Sie sei den ganzen Tag auswärts gewesen und habe nichts gesehen noch gehört!
Die schrecklichsten Ahnungen bemächtigten sich meiner; wir trösteten uns indessen mit jener Vorstellung, es seien Katzen wohl schon des Öfteren mehrere Tage, ja zuweilen ganze Wochen ferngeblieben, um dann unverhoffterweise wieder nach Hause zurückzukehren! Allein wir ahnten, daß wir uns damit schlechterdings selbst betrogen, fühlten wir doch tief innerlichst, daß unserer Dschanni ein Unheil widerfahren war; wie sehr uns unser Gefühl richtig leitete, sollte ich am nächsten Tage auf die traurigste Weise inne werden!
Nachdem Dschanni den ganzen Abend und den darauffolgenden Morgen verschwunden geblieben war, ging ich aus, um mir durch eine Promenade im Walde ein Weniges an Zerstreuung zu verschaffen; allein mein Bemühen blieb fruchtlos, ich mußte immerfort an Dschanni denken!
Als ich von meinem Spaziergang nach Hause kam, begann ich wiederum, allenthalben Dschannis Namen zu rufen in der Hoffnung, sie möchte, so wie einst, plötzlich mit behenden Sätzen vom Garten der Nachbarin oder sonstwoher gesprungen kommen; allein meine verzweifelten Rufe verhallten ungehört in der Gegend, und die Ungewißheit über das Schicksal meiner vierbeinigten Freundin ließ mich in die betrüblichsten Gedanken versinken.
Noch am selben Nachmittag stand ich auf dem Balkon und gewahrte von ohngefähr, wie unser Nachbar – jener Bauer, zu dessen Hof Dschanni zuletzt getrottet war – seine Kühe ins Feld trieb. Ich benutzte die Gelegenheit und rief ihn vom Balkon her an: wir würden seit zwei Tagen unsere Katze vermissen, ob er sie denn irgendwo gesehen habe! Der Bauer gebot mir eine Minute zu warten, bis er seine Kühe ins Feld getrieben; und da er nun zurückkehrte, fuhr mir ein kalter Schauer über den Rücken: ich fühlte, daß er etwas wußte, und indem er zu mir emporsah, frug er mich, ob dies eine graue Tigerkatze gewesen sei. Die Beschreibung, die er gab, paßte in allen Stücken auf Dschanni, und der Blick, mit dem er mich ansah, sagte mehr, als tausend Worte es vermocht hätten; wie ein Blitz durchfuhr mich die herbe Erkenntnis, Dschanni war zu ihrem Schöpfer heimgegangen!
Der Bauer gab im Darauffolgenden Bericht: am späten Abende des vorverwichenen Tages – jenes Tages, da ich sie zum Letztenmal gesehen – habe plötzlich ein Mann bei ihm an der Tür gestanden und gesagt, er habe soeben eine Katze überfahren; nun wolle er anfragen, ob sie etwa ihm gehöre! Er, der Bauer, habe daraufhin verneint, da er keine Katze besitze und sei dem Mann zum Wagen gefolgt, wo das arme Tier in seinem Blut gelegen habe; da er nicht gewußt habe, wem sie gehöre, da es mehrere Katzen in der Nachbarschaft gebe, habe er uns auch nicht Bescheid geben können; nun aber besorge er, es sei in der Tat unsere Katze gewesen, man könne die Blutflecken noch auf der Straße sehen. Ich dankte dem Mann für seine Auskunft und wandte mich mit feuchten Augen ab: nun hatte ich Gewißheit, meine Dschanni war nicht mehr!
Wohin man ihren kleinen Leichnam geschafft hatte, das wußte ich nicht und wollte es auch gar nicht wissen. Mit Tränen in den Augen entfernte ich die kleinen Näpfchen, aus denen sie stets ihr Futter genommen, und rückte jene Mülltonne, welche sie immer als Sprungbrett auf das Fenster benutzt, wieder an ihren angestammten Platz; da, wo sie jetzt war, brauchte sie keine Mülltonne mehr!
In den darauffolgenden Tagen mußte jeder, der es hören wollte oder nicht, sich jene Geschichte vom Dahinscheiden meiner seligen Dschanni anhören, obwohl es mir die Kehle zuschnürte und ich mir die Tränen ordentlich verhalten mußte, die dann und wann meinem umflorten Auge entwichen und über meine Wangen strömten. Alles, was mir von ihr geblieben ist, sind die vielen köstlichen Erinnerungen, die ich an sie habe, sowie ein kleines Schächtelchen mit dreien ihrer Schnurrhaare, die sie verloren, und einem kleinen Büschel ihres tigergrauen Haars. Noch heute bewahre ich diese Reliquie in meinem Schranke auf!
Hier also endet die Geschichte meiner teuren Dschanni, und vielleicht hat sie dem einen oder anderen Leser ja gefallen. Mancher wird vielleicht sagen, daß es im Leben wichtigere Dinge gibt als einer verstorbenen Katze nachzutrauern, und auf seine Weise mag er damit wohl recht haben. Sei dem nun, wie ihm wolle: ihre Geschichte, die Geschichte Dschannis wollte ich erzählen, nicht mehr und nicht weniger. Eines aber weiß ich ganz gewiß: daß sie ein winziges Stückchen meines Herzens mit in ihr kleines Grab genommen hat!




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