Mein allerwürdigster Freund,
da die Würfel nun einmal – in unserem Falle freilich die Münze – gefallen sind und sich auf das entschiedenste wider meine Fortune erklärt zu haben scheinen, sei es mir immerhin verstattet, diese meine erste Epistel an Dich, teurer Freund, mit der gleichzeitigen Bitte um eingehende Durchsicht, zu richten.
Indem ich mit derselben ehrenvollen Verpflichtung gleichermaßen meinem Privileg entspreche, den Gegenstand der nämlichen Unterredung erwählen zu dürfen, hoffe ich sehr, in meiner Wahl, mich hierin einer älteren Aufzeichnung meiner Tagebücher bedienend, welche das Thema >Von der Bedeutsamkeit wahrer Literatur< zum Inhalte hat, eine glückliche Hand bewiesen zu haben. Ich will mich indes, getreu meiner Maxime, hier keineswegs allzusehr in langwierigen Einleitungen verlieren, sondern halte es vielmehr als durchaus geboten, gleich in medias res gehen zu wollen!
Wer sich schon einmal in der Tat ernsthaft in unsere Literaturgeschichte versenkt hat, wird irgendwann zu dem notwendigen Resultat gelangen, daß da neben den Produkten eines tätig schaffenden Geistes auch immer eine dieselben begleitende, sich in höchst passiven Verhältnissen befindliche Kunstkritik gleichsam omnipräsent und vorherrschend war! Es hat nämlich – und über dergleichen wurde ehedem bereits verschiedentlich sattsam Erwähnung getan – zu allen Zeiten Leute gegeben, die sich freventlich verstiegen, beweisen zu wollen, weshalb man nun von diesem viel, von jenem dagegen nur wenig halten müsse; mit einer geradezu gichtischen Irritabilität und Reizbarkeit, etwa jener kapriziösen Neugierde vergleichbar, mit welcher man einem Dorfklatsch nachspürt, war ihr einziges Sinnen und Trachten von allem Anfange an nur darauf gerichtet, vortrefflichen Autoren einen tüchtigen Tintenklecks anhängen zu wollen. Es versteht sich von selbst, daß hier nicht von sachlich fundierter Kritikfähigkeit, die, als solche ja rein zu begrüßen und wünschenswert, sondern einzig von den neidträchtigen Ausgeburten einer gänzlich von Präjudizien befangenen Fronde die Rede ist [1] ; denn wenn wir über Gegenstände schreiben, was immer nun denselben auch zu Grunde liegen mag, und wir in der festesten Überzeugung leben, dies alleine sei wahrhaftig – (wobei viele nur im Glauben ihrer Überzeugung gewiegt werden – allein sie sind es nicht!) – so beweist sich die eigentliche Bedeutung eines Werkes durch nichts weniger denn das Werk selbst – atmet es doch jenen ewigen, unauslöschlichen Geist, welcher nicht schnöde und billig mit Worten bezeichnet, sondern nur als eine große, gewaltige Ahndung empfunden zu werden vermag und durch Leben und Tat seines Schöpfers am deutlichsten offenbar werden wird! Denn jeglicher, der wahren Sinnes ist und gemäß seiner ureigensten Überzeugung sich zu leben bemüht – wird jener nicht auch jederzeit darin bestrebt sein, das Wort sogleich vermöge der Tat ins äußere Leben zu tragen? Ich sehe wohl, mein Freund, Dein mir so vertrautes Bild vor meinem Auge erstehen und wie Du mir in alledem eben Gesagten, mit lächelndem Wohlwollen, zustimmen wirst!
Es sollte sich ferner von selbst verstehen, daß es auch jederzeit Leute von trefflichem Verstande gab, die ihre Sache in den Dienst des Unwürdigen stellten, doch von ihnen rede ich nicht; vielmehr gilt mein Interesse all jenen, welche das Wahre, weil allezeit aus sämtlichen Prüfungen der Zeit als lauterste Wahrheit assimilierte Große, mit ihren Worten verkündigen: Nie und nimmer, und mag dasselbe auch in noch so großen und wohlklingenden Worten gepriesen werden, werde ich es verstehen, wenn da nun einer ist, der nicht auch zugleich sein ganzes Herz, seinen ganzen Sinn darein setzt, sich in Werken ebenso wie in Worten diesem Höheren, Größeren und Unwandelbaren mit ganzer, ungeteilter Seele, zuzuwenden! Und eben hier liegt die eigentliche Beantwortung jener Frage nach der Bedeutsamkeit wahrer Literatur begründet – da sich durch ebendieselbe die Seele des Dichters reflektiert und die Wahrheit nur wieder durch Wahrheit in der Reflexion repräsentiert werden kann! Allein deshalb ist da eben nichts weiter zu fragen und zu beweisen, was man denn nun mit diesem oder jenem sagen wollte, oder aber, um auf die Pointe zu kommen, was einem endlich das Verdienst eines sogenannten >Bestsellerautors< oder jenes eines hier wörtlich rezitierten >literarischen Nobodys< einbringt; was um alles in der Welt, so frage ich euch, die ihr da beständig zu forschen und beweisen wißt über Wert und Unwert, nicht bloß von Werken, sondern sogar von deren Schöpfern – gibt es da zu entlarven, zu analysieren, zu kritisieren? Kann der Adept etwa den Meister tadeln, der Unwissende den Wissenden belehren?
Und wenn ihr nun beispielsweise, wie geschehen, Fouqué als unbedeutend und endlich gar als >literarischen Nobody< abspeist; auf! setzet selbst einmal die Kräfte eures schlummernden Verstandes ins Werk, deren ihr euch vor anderen nicht zu schämen braucht, anstatt immerfort nur Maulaffen über >bedeutsam< und >unbedeutsam< feilzuhalten, und wir wollten alles daransetzen [wir, die wir überzeugt sind durchgehends, und nicht einem wesenlosen Scheinideal huldigen], daß sich der Wert einer Literatur gleichsam von selbst entfalten wird, wenn sie nach besten Kräften und (Ge-)Wissen geübt wurde – und am besten mag es sich zeigen, wenn einer unbeirrt daran festhält, am Wahren seiner Überzeugung, an der Überzeugung des Wahren, und fromm seine Pflicht als Menschenkind tut; denn alleine das hat wahrhaftigen Wert und wird sich auch nachgerade als der Art erweisen, und mögen auch tausend Hunde dagegen bellen!
Ich sage, mein Freund, wer da immer nur ist und beweisen will und zerreden und kritisieren: Auf, eh‘ ihr euch anschickt, ein Werk, das ihr weder kritisieren noch beweisen könnt, sondern allenfalls ahnden, als bedeutungslos zu verurteilen und abzuqualifizieren; immer frisch auf! schafft selbst etwas, das euch unsterblich macht gleich jenen, die ihr aus eigener Geistesohnmacht und Unvermögen als unbedeutend abtut, weil sie die Welt angeblich nie wirklich beachtet hat und die, dessenunbeschadet, doch die edelsten Bewundrer haben – doch ach! euer Mund ist stets voll von Worten und eure Hände arm an Werken!
Dieses, mein Freund, ist es denn, was ich diesmal von der Seele zu schreiben mir vorgesetzt hatte in der Hoffnung, Du mögest meine Ansicht der Dinge verstehen und mir vielleicht deinerseits einen Brief, von Deinem Standpunkte aus, zukommen lassen; denn der meine ist für diesmal nach dem Maße meiner Kräfte erschöpft!
[1] In bezug auf letzteres sei nur soviel gesagt, daß Kunst eben wieder nur durch Kunst kritisiert werden kann! Eine Kritik, die daher nicht selbst schon eigentlich ein Kunstwerk vorstellt, indem sie selbst Kunst bildet, hat gar keine Bürgerrechte im Reich der Literatur, noch weniger Kritik, welche einem rein subjektiven Beurteilungsempfinden, das nur nach Geschmack ver- und nicht beurteilt, nicht aber einem eigenen, konstruktiven Schaffensvermögen entspringt.
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