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Einige ganz natürliche Erscheinungen in den Abläuften von Tag und Jahr haben mich veranlaßt, gewisse Überlegungen hierzu anzustellen und jene auch schriftlich festzuhalten; Gegenstand dieser Überlegungen waren die Entstehung der Jahreszeiten sowie die diesbezügliche Veränderung des Sternenhimmels. Freilich sind uns derlei Dinge schon seit den Tagen Galileis bekannt; sie jedoch vom rein analytischen Standpunkte nachvollziehen und verstehen zu können, dazu bedarf es damals wie heute gewisser Überlegungen.
Der Entstehung der Jahreszeiten wie die Verschiebung der Himmelsplaniglobien
[1] liegt eine ganz einfache Ursache zum Grunde: nämlich die Tatsache, daß die Erdachse eine Schrägstellung von 23,5 Grad zum Himmelsäquator aufweist – oder, analog ausgedrückt, daß der Erdäquator mit der Erdbahnebene einen Winkel von 23,5 Grad bildet. Nun hat dies zur Folge, daß es die Stellung der Erde zur Sonne, indem die Erdachse ihre räumliche Stellung beibehält, mit sich bringt, daß einmal die nördliche, ein andermal die südliche Hemisphäre in einem steileren Winkel von den Sonnenstrahlen getroffen wird, was zugleich auch die Ursache darstellt, daß die Jahreszeiten auf den beiden Erdhalbkugeln stets diametral sind. Der Kulminationspunkt jener Stellung der Erde zur Sonne wird jeweils am 21. Junius bzw. den 22. Dezember erreicht und als Solstitium bezeichnet. Der Tag erreicht hier auf der Nord. – bzw. Südhalbkugel seine größte Länge.
Es ist eine Eigenschaft von Lichtquellen, daß sich die Strahlen derselben nach allen Richtungen hin gleichmäßig ausbreiten. Ist die Lichtquelle eine Kugel, wie etwa unsere Sonne, so geschieht dies jeweils im rechten Winkel zu ihrer Oberfläche. Da es bei einem kugelförmigen Leuchtkörper völlig belanglos ist, ob er sich nun in gerader oder geneigter Stellung zum Himmelsäquator befindet, da er dessenungeachtet ja seine Strahlen weiter gleichmäßig versenden würde, müssen die horizontalen Strahlen jener Lichtquelle, so sich deren Mittelpunkt auf einer Ebene mit jenem des beleuchteten Planeten befindet, notwendig auf dessen Mittelpunkt gerichtet sein. Da die Erdachse ja nun bekanntermaßen eine Schrägstellung aufweist, ergibt sich daraus das oben angeführte Phänomen der Jahreszeiten sowie die damit verbundene Feststellung, daß in den Solstitien die höchste Temperatur nicht unmittelbar am Äquator, sondern etwa auf der Höhe der sogenannten Roßbreiten gemessen werden muß. Daraus könnte man vielleicht auch auf die beinahe vollständige Windstille in den erwähnten Regionen schließen. Den Schnittpunkt des Himmelsäquators mit der Ekliptik
[2] bezeichnen wir als Äquinoktium. Letzteres wird jeweils am 21. März bzw. den 23. September erreicht. Daraus ergibt sich eine Parallelstellung der Erdachse zur Sonne, welches die Tages- und Nachtgleiche zur Folge hat. Die Strahlen der Sonne treffen nun auf beiden Halbkugeln nahezu im selben Winkel auf, was erklärt, warum wir im Frühling und Herbst annähernd auch dieselben Temperaturen haben.
Durch die nämliche Schrägstellung der Erdachse wird auch das jeweilige Erscheinungsbild des Himmelsplaniglobiums bestimmt. Das nördliche bzw. südliche Planiglobium ergibt sich aus der jeweils gedachten Verlängerung der Erdachse. Diese weist hier etwa auf den hellsten Stern im Sternbild des kleinen Bären, den Polarstern, dort ohngefähr nach dem Sternbild des Oktanten hin. Aus dieser Tatsache wiederum erhellt, daß an den Polen das jeweilige Himmelsplaniglobium immer denselben Anblick bietet und sämtliche Sternbilder in diametraler Richtung zur Erdrotation um jene scheinbaren Himmelspole zirkulieren. An sämtlichen Punkten des Äquators erhalten wir ein analoges, wenn auch spiegelverkehrtes Bild. Hier ist jeweils ein Viertel des Sternenhimmels diesseits bzw. jenseits desselben, oder die Hälfte des jeweiligen Himmelsplaniglobiums als Sternenhimmel sichtbar. In der gedachten Verlängerung der Äquatorialebene müssen demnach jene Sternbilder am höchsten stehen, welche von den Polen aus nicht oder nur kaum erkennbar sind, so etwa in der östlichen Äquatorialzone das Sternbild des Orion, oder der westlichen jenes des Adlers, welche demnach jeweils im Solstitium am höchsten stehen müssen. Hier findet nicht, wie an den Polen, eine scheinbare Himmelsrotation innerhalb von 24 Stunden statt, sondern die Äquatorialzone des Himmels dreht sich innerhalb von 365,5 Tagen gleichsam um die Erde.
Jene Schrägstellung der Erdachse bewirkt auch, daß die Bewohner der nördlichen Hemisphäre im Winter und Frühjahr den östlichen Rand, im Sommer und Herbst den westlichen Rand der südlichen Himmelshalbkugel beobachten können. Die Antipoden hinwiederum können umgekehrt im Winter den westlichen Rand des nördlichen Planiglobiums, im Sommer den östlichen Rand desselben betrachten. In eben demselben Maße, dem sich jemand, von Norden oder Süden kommend, dem Äquator annähert, desto größer wird jener sichtbare Teil der jeweils entgegengesetzten Himmelshalbkugel
[3].
Dergestalt mögen sich dem wissenschaftlichen Betrachter jene Wunder darstellen, welche wir alltäglich und alljährlich unmittelbar neben uns passieren sehen, ohne uns eben recht darum zu bekümmern. Doch weder dem, der keinen Gedanken daran verschwendet, noch jenem, der nur die nüchterne Elle der Wissenschaft anzulegen versteht, werden sich diese Wunder erschließen, als vielmehr dem, der jene in demütiger Dankbarkeit in sich selbst wirken fühlt.

 

[1] Der Verfasser bezeichnet die graphische Darstellung der Himmelshalbkugel als Kreis im folgenden als Planiglobium. Dieser Begriff wird üblicherweise nur im Zusammenhang mit graphischen Darstellungen der beiden Erdhälften in Kreisform verwendet.
[2] Der sonnenfernste Punkt der als Kreis gedachten Umlaufbahn der Erde, wo sich letztere mit dem Äquator der als unendlich gedachten Himmelskugel schneidet.
[3] Der Verfasser erklärt ausdrücklich, daß einige der im vorigen angeführten Überlegungen nur durch logische Deduktion zustandegekommen sind. Sollten dem Zuerstgenannten gewisse diesbezügliche Fehler unterlaufen sein, ist der aufmerksame Leser aufgefordert, etwaige Korrekturen der Redaktion des „Epitaph“ mitzuteilen.
 



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