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LESEPROBE

Aus: Thomas von Kienperg, Der Reif der Bourbonen, Kapitel I

Es war an einem holden Herbstabende, dem 29. September im Jahre unseres lieben Herrn 1681, als die Sonne, sich goldleuchtend den westwärtigen Höhen hinneigend, ihren letzten Strahl über die verdunkelnden Gründe warf. Das in träumendem, sanftem Zauber hingebettete Tal, einer schlummernden Schönen gleich, ward von duftigen Schatten umwoben, im linden Abendwinde nickten die blauen Astern zart mit ihren Köpfchen und verströmten – trotzdem es schon spät im Jahre war – auf der noch blumensprossenden Flur ihren mannigfachen Odem. Bis in unabsehbare Ferne hin dehnte sich der Äther im flutenden Abendgolde und schien dort mit der Erde gleichsam in eins zu zerfließen; gleichwie riesige Feuerwogen klomm der Bäume bunter Blätterwald an dem Talhange empor, deren höchste Kronen vom Scheidekuß des entschlummernden Tages angeglüht standen, wie in flammender Fackelhelle lodernd. Im rosigen Abglanze des scheidenden Lichtes erstrahlten ringsum die Höhen der Berge, deren Schimmerlinien gleichsam umgebend mit dem Saume lauteren Goldes, und über den nördlichen Waldbergen wandelten purpurn, wie von Rosengluten behaucht, die triftenden Wolkenbande, und das war nun gar anzuseh’n, als trügen weißgefiederte Schwäne die rosigen Walküren zum Himmel hinan, dem Flammenauge Phöbus‘ entgegen; je mehr sich indes der Blick nach dem Grunde senkte, desto mehr wob das Schattenreich die Gefilde in ihren dämmerkühlen Bann. Ließ man ihn dagegen schweifend in dem Firmamente ergehen, so war’s wie ein königliches Leuchten über vergänglichem Grunde, und man wollt‘ alle irdischen Bande zerschlagend seine Schwingen breiten, jenen Walküren folgend auf ihrem lichten Pfade, immerfort der Sonne hinzu. Die wildschöne Trunkenheit des Augenblickes machte die Herzen der Menschen schwellen, sie einzig sehnen nach dem ewig Göttlichen, das ihnen doch nur für die Dauer eines kurzen, sinnbetörenden Traumes beschieden war, um sich im blaukühlen Schatten des Abendgrundes wiederzufinden. Vom Südwesten her schlang sich das steinige Band der Chaussee durch ausgedehnte Wälder. Dort, wo dieselben den Fluren wichen, krümmte eine schmale Steinbrücke ihren Bogen über die Wasser eines murmelnden Flüßchens. Wohl mocht‘ der Sommer es in seinem Laufe gebändigt; doch munter plauderte es noch und erfreute die Herzen derer, die’s vernahmen. Einen Steinwurf von jenem Stege entfernt goß das Wasser seinen kristallnen Strahl in die grünschimmernden Fluten eines Kolkes; an seinen Ufern kniete ein blutjunges Mädchen, über einen Weidenkorb voll mit Wäsche gebeugt, indem sie selbige immerfort mit dem rieselnden Quell benetzte. Seinen Leib, gar wohlgestalt, verbarg es in einem schlichten Gewande von Leinen, und sein langes, kastanienbraunes Haar, welches es bisweilen in lieblichem Gebaren strählend verweilte und sich in kupferschimmernder Fülle wie ein Schleier um seine Gestalt schlang, erglänzte hell in dem Abendrot. Auch sang es dazu eine gar anmutige Weise. Vom nahen Forste stiebte ein Schwarm Vögel auf, der eben noch dem weichenden Tag mit fröhlichem Schalle – tirili! – tirili! ein Ständchen gebracht, und aus dem taufunkelnden Grase erhoben sich, scheu flüchtend, einige zierliche Rehe, welche sogleich dem nahen Tannicht entgegenstrebten. An dessen Saume, wo die Landstraße auf freien Grund und nach der Brücke verlief, erschien nun ein Reiter, welcher sich wie suchend im Sattel umzublicken schien und sein Roß mit kundigen Händen nach dem Stege lenkte. Das Skapulier seines ritterlichen Wamses führte den französischen Leu im Wappenrund, an seiner Seite hing an einem Bandelier das schlanke Rapier, wie es Musketiere eben nun für gewöhnlich zu tragen pflegten, während der Hut mit der gedröselten Straußenfeder lässig vor ihm über dem Sattel hing. Leichten Ganges querte das Reittier – ein vollblütiger, nachtdunkler Rappe, der unwiderstehlich die Blicke auf sich zog – den Bachlauf, und, den Schritt desselben verhaltend, ward sein Reiter nun des Mädchens ansichtig und neigte seine Gestalt im Sattel, um sein Lied besser vernehmen zu können. Und es sang:

(An die Horen)

Hoch flammen Auroras Purpurrosen,
Schweifend Sonnenlichter kosen
Über blühendes Gefild.
Im Busen Hymen lieblich klingen,
und Cupido mit zärtlichen Schwingen
wecket Eunomias schwellend Bild.

O Dike! Du Schaffnerin süßer Gaben.
In Fülle Menschenherzen laben
Sich an Chloes goldner Frucht!
Heitre Frauen unter bräutlichem Kranze!
Auf Kores Haupt in lichtem Glanze
Ruhet die Krone höchster Zucht.

Durch des Herbstes bunten Reigen
In der Dryaden kahlen Zweigen
Wandelt still Eirenen hin.
In der Greise hellem Blicke
Spielet wähnend in verflossnem Glücke
Venus! Die Minnespenderin.

Aus eines heißen Herzens Gluten
Ergeußen schwellnder Liebe Fluten,
wenn das Auge auch im Lethe bricht!
Es leidet Liebe, die unerwidert,
hoffend, bangend im Busen zittert,
denn sie erstirbt im Lethe nicht!

Lächelnd, von der lieblichen Erscheinung in allerhöchstes Erstaunen versetzt, trieb der junge Musketier das Roß bis an jenen Abhang hinan, welcher sich zu dem Bachgrunde senkte. „Guten Tag, schöne Wäscherin! Gottes Gruß auf den Abend!“ Jene hielt in ihrem Tun inne und hub den Blick. Das Tuch, welches sie eben noch in Händen gehalten, entglitt ihrem Arm und ward allsogleich von den schillernden Wogen erfaßt und hinfortgetragen. Das Lied auf ihren Lippen verstummte. „Mein allerschönstes Fräulein“, so setzte der fremde Reiter, noch ganz in seinem bezauberten Betrachten versunken, hinzu, „wahrhaftig, Ihr gleichet den Charitinnen! Hab‘ ich Euch sehr erschreckt?“ Das Mädchen an dem jenseitigen Ufer, an das die Worte gerichtet waren, erhob sich, die großen, runden Augen in höchstem Verwundern auf die unverhoffte Erscheinung gerichtet. In elfengleicher Gebärde strich es nun sein Haar in den Nacken zurück und betrachtete in unfaßlichem Erstaunen Roß und Reiter. Sein Leinenkleid, welches vom vielen Waschen naß geworden, zeichnete jegliches Lineament seines Leibes in den berückendsten Formen und schmiegte sich um seinen jungen, ungestüm atmenden Busen. Beine wie Arme schienen von der Sommersonne nur mäßig berührt, denn gleichwie ein milder Schatten lag es über die schneeweiße Haut und das in jugendlichem Liebreiz erstrahlende Gesichtchen gebreitet. Das Auge des jungen Kriegsmannes unterdessen ruhte mit sichtbarem Wohlgefallen auf dem liebreizenden Geschöpfe, das in kindlicher Scheu an sich hinabsah und schamvoll errötend stammelte: „Verzeiht, Sire, mich dünkt gar, ich bin eben nur höchst unziemlich bekleidet! Alleine, es verirren sich selten Krieger in diese verlorene Einöde!“ Der Junker, die in holder Verlegenheit hingestammelten Worte vernehmend, stützte sich schmunzelnd auf den Knauf seines Sattels; in eleganten Allüren – sein Reiter verstand ihn auf allerlei Weise meisterhaft zu gängeln – tänzelte der Rappe den Hang hinab und setzte seinen Huf in die aufspritzenden Wasser. „Ein nun, schönstes Fräulein“, so hub er jetzt abermals an, „dies Kleid ziert Euch wirklich ganz allerliebst! Noch vorzüglicher aber kleidet Euch wohl die Natur selbst, die, wie man hinlänglich weiß, uns nun einmal ohne Gewänder schuf! Hei! ging‘ es nach mir, so wolltet ihr die wohl auch zu Eurer Wäsche in den Korb werfen!“ „Sire, fürwahr, Ihr treibt Euren Spott mit mir armem Mädchen!“ „Das nun eben nicht gerade“, beeilte sich jener lachend zu versichern, „hab‘ ich doch, Gott sei’s geklagt, seit eh‘ einen höchst unseligen Hang zu unzeitigen Scherzen! Bitte verargt Ihr mir dergleichen nicht! Aber sagt, Mädchen, gibt es hier in der Nähe nirgendwo Herberge für ein paar Krieger und ihre Pferde aufzutreiben, es will bald nächtigen und wir sind den ganzen Tag hindurch geritten!“ „Wir?“ rief die Schöne verwundert aus. „Seltsam! Ich seh‘ alleine Euch!“
„So sehet Ihr freilich nur die bescheidene Vedette unsrer Truppe!“, versetzte der Junker so recht innerlich vergnügt, „ich ward des martialischen Geschwätzes der andern überdrüssig und bin deshalb vorausgeritten, um freundlich um Herberge zu bitten! Der Rest unsres Haufens, wie Ihr Euch leicht vorstellen könnt, pflegt zumeist minder freundlich zu fragen!“ „Von wannen kommt Ihr nur, junger Herr?“, frug nun die auf das anmutigste überraschte Wäscherin, und der Jüngling antwortete heiter: „Hört, Fräulein, wir sind ein Trupp Kriegsmänner und Musketiere, die vor fünf Tagen von Paris geritten und stehen unter dem Befehle des Connetable, dem unser allerwürdigster Minister, Marquis de Louvois, vorsteht! Alles klingende Namen, wie Ihr sie wohl schon bisweilen gehört haben mögt, uns die sich, wie man wohl zu berichten weiß, sehr um unser fränkisches Reich verdienstlich gemacht haben! Verzeiht somit, wenn sich der meinige dagegen nur höchst bescheiden ausnimmt und gestattet mir trotzdem, mich Euch vorstellig werden zu lassen, artiges Fräulein! Man nennt mich Philippe!“ „O! Philippe!“, wiederholte die Anmutige träumerisch und hub ihren Blick, welcher den Jüngling aus zauberhaften, grünlichen Augensternen traf, die, beschattet von langen, dunklen Wimpern, darunter gar allerliebst hervorblitzten. „Nun, dann seid Ihr vielleicht gar ein Musketier des französischen Königs, des Sonnenkönigs, so sagt man?“ frug sie mit scheuer Bewunderung und fügte zögernd hinzu: „Denn es ist französischer Boden nicht, auf dem wir steh’n!“ „In der Tat“, lachte der junge Edelmann, „darin habt Ihr’s gerade recht getroffen! Wohl steh‘ ich im Dienste unseres allmächtigen Königs Ludwig, dem Sonnenkönig, wie Ihr selbst sagtet; allerdings bin ich wohl der geringste und jüngste unter seinen Vasallen!“ Ein zauberhaftes Lächeln flog über ihre Lippen. „Ei“, fuhr die niedliche Fragestellerin eifrig fort, „so seid Ihr am Ende gar Visgards Sohn, Sire, von dem man sich hierzulande so viel erzählt?“ „Ich wünschte, liebes Fräulein“, versetzte da der junge Musketier, „Ihr wolltet mich nicht immer in einem fort Sire nennen! In Anbetracht Eures ... hm, inquisitorischen Kreuzverhöres jedoch“, fuhr er daraufhin ernsthaft wie schelmisch gleichermaßen fort, „verrate ich Euch denn auch noch mein letztes Geheimnis – und dank‘ Euch, daß Ihr meines teuren Vaters gedenkt! Denn in der Tat, Ihr habt recht geraten, Visgards Sproß bin ich, Musketier unseres hochwohlgebornen Königs Ludwig!“ Er vollführte auf dem Rücken seines Pferdes eine vorzüglich geratene Reverenz, den Hut wie schmachtend an seine Brust drückend, und fuhr weiter fort: „Nun, Mamsell, wißt Ihr wirklich beinahe alles über mich, ich dagegen nichts über Euch, ausgenommen, daß Ihr ganz ausnehmend hübsch anzusehen seid!“ „Ich heiß‘ Marie!“, sprach da die Schöne mit einem überaus schnippischen Naserümpfen, das ihr sehr gut ließ, „und ich glaube wahrhaftig, daß ich Euch helfen kann!“




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