LESEPROBE
Aus: Thomas von Kienperg, Blut von Albion, Kapitel I
Inhalt
***
Gaiforte Castle und die Königin der Ehre und der Minne
Ein junger, unbekannter Ritter aus der Gascogne erscheint …
… gewinnt die Krone des Turniers und stiftet durch seine geheimnisvolle Herkunft große Verwirrung!
Eine Entführung und zwei Betrübte
Unerwarteter Besuch auf Blacktower
Normannenblut
Eine seltsame Entdeckung
Fountaindale und die „Merrymen of the Forest“
Abenteuer bei Major Oak und Rufford Abbey
Die Flucht
Der Sturm
Der Untergang von Blacktower
Versöhnung und Ende
***
Kapitel I
Gaiforte Castle und die Königin der Ehre und der Minne
Manch wundersame Geschichte verdanken wir den Mären der alten Zeit, wo tapfere Recken um Ehre und die Minne edler Frauen stritten, wie uns dies die berühmten Dichter und Troubadoure in ihren Liedern und Gesängen verkündet haben. Ob nun der alte Germanenfürst Karl in den trefflichen Versen des Chanson de Rolande, den die Geschichtsschreibung später mit dem Ehrennamen „Der Große“ behängt hat; der Langobardenherrscher Theoderich, dem dieselbe Würde des Namens zuteil ward und der uns in der Sagenwelt als Dietrich von Bern gegenübertritt; der vielbesungene König Artus mit seiner berühmten Tafelrunde; die ruhmbekränzten Ritter der Nibelungen und noch viele andere Helden ehrenvollen Angedenkens, die sich in diesem Pantheon tummeln – sie alle hatten in den Anfängen des Christentums gelebt; allein ihre zahllosen Ruhmestaten wurden erst in späteren Tagen zum allgemeinen Gegenstand der Barden und Sänger, in jener Zeit, als das Rittertum zu seiner höchsten Blüte sich emporgeschwungen hatte und nun allmählich seinem sicheren Untergang entgegensah! Wahrhaft, das Rittertum, es glich einem Greis, der in Ehren grau geworden und der, ein flüchtiger Schatten seiner einstigen Pracht und Herrlichkeit, noch ein alles verklärendes Licht auf die Gegenwart warf, obwohl sein Schicksal längst besiegelt war; und in der Tat, fast schien es, als wollten die alten Barden mit ihrem Schwanensang nochmals all jene glänzenden Tugenden preisen, welche die Ritterschaft in solch erhabenen Flor gebracht, und eine geheimnisvolle Wehmut klang zuweilen in ihren Versen wie ein Lied aus längst vergangenen Tagen! Wohl mochten sie ahnen, die Zeit jener hohen Ideale wäre nun vorbei und ein neues Zeitalter stand vor den Toren, um das Alte, das sich gleichsam selbst überlebt hatte, mit den mannigfachen Wandlungen einer neuen, in den Geburtswehen liegenden Welt abzulösen. Das Alte vergeht, und das Neue tritt anstelle des Alten, so lautet das unwandelbare Gesetz der Zeiten!
In dieselbe Zeit, in jene Zeit des großen Wandels, fällt auch unsere Geschichte, die im Angesichte einer großen und stattlichen Burg beginnt, die damals noch am Rande eines ausgebreiteten Waldlandes lag und den Namen Gaiforte Castle führte! Inmitten der anmutigen Heide von Ashfield erhoben sich ihre trotzigen, altehrwürdigen Mauern, von einem breiten Burggraben umgeben, der von einem unweit vorbeiströmenden Flüßchen mit Wasser gespeist wurde. Weithin sichtbar überblickte der hohe Bergfried das ringsum gelegene Land, und sooft sich jemand auf der breiten Allee von hochaufragenden Pappeln, die den Anfang jenes Weges bezeichnete, der den Wanderer in einer kurzen Wegstunde gen Nottingham führte, der Feste nahte, sah er den mächtigen, wimpelgeschmückten Turm schon lange über die Wipfel des Forstes hereinragen, noch ehe er den kleinsten Teil der Burg zu Gesicht bekam; und füglich durfte Gaiforte Castle den Ruf einer starken, schwer einzunehmenden Feste für sich in Anspruch nehmen, die über mächtige Befestigungsanlagen und wuchtige Vorwerke mit allerlei Wachtürmen, Wehrgängen und Basteien verfügte: erfreute sich in jenen gefahrvollen Tagen doch nur derjenige der Ruhe und des Friedens, der sich seiner Haut zu wehren wußte!
Ein ebensolcher Mann, der sich seiner Haut zu erwehren wußte, war der Burgherr, Graf Robert de Gaiforte, nun freilich – eine stolze, hochgewachsene Gestalt, der bei seinem höchsten Lehensherrn, König Eduard Plantagenet, in hohem Ansehen stand und außerdem das Amt eines Aldermans oder Sheriffs der Grafschaft Nottinghamshire versah! Da auch seine Vorfahren stets treue Anhänger der königlichen Partei gewesen waren, hatte man die Königstreue der gräflichen Familie mit mancherlei Gunstbezeigungen belohnt, sodaß bereits der Urahn von Graf Robert in jenen Tagen, als Richard Löwenherz noch über England geherrscht hatte, in den Besitz von Gaiforte Castle gelangt war! Diesen Namen hatte die Burg allerdings erst durch ihre neuen Besitzer erhalten; ehedem hatte sie Fenwick geheißen, da sie noch aus der Zeit vor der Normannenherrschaft stammte und in jener Zeit sogar als einer der ältesten Herrensitze Altenglands angesehen wurde, deren ehrwürdige Mauern noch alte, angelsächsische Geschlechter von edlem Geblüt beherbergt hatten; allein fast alle derartigen Besitztümer waren nachmals in die Hände der normannischen Eroberer gefallen, sodaß es allgemein nur mehr eine höchst geringe Anzahl von Burgen und Schlössern gab, die sich nicht im Besitz des normannisch-französischen Adels befanden und noch ihre ursprünglichen, angelsächsischen Namen trugen.
Graf Robert de Gaiforte war in jener Zeit, in welcher der geringere Adel überall bestrebt war, dem Interesse seiner eigenen Machtvollkommenheit zu dienen, für den englischen König, der sich überdies häufig genug um die Wahrung und Festigung seiner Erblande in Frankreich bekümmern mußte, ein Mann von unschätzbarem Wert; lag doch die allgemeine Sicherheit und Ordnung Englands in Zeiten, in denen der König anderwärts verweilte, in den Händen von Männern wie Gaiforte, die in unverbrüchlicher Treue zu ihrem Könige verharrten und die ärgsten Anschläge des stets zum Aufruhr geneigten Volkes nach ihren Möglichkeiten zu verhindern suchten. Überall nämlich lauerten die kleinen Barone und Fürsten des Landes nur auf eine passende Gelegenheit, sich größere und umfassendere Privilegien zu verschaffen und sich so der ausgebreitetsten Unabhängigkeit von der königlichen Gewalt zu erfreuen; und derlei Gelegenheiten boten sich eben für gewöhnlich dann am ehesten, wenn die Königsmacht durch die Abwesenheit ihres höchsten Trägers geschwächt war! Außerdem war auch die große Zahl der Landsleute, die zum größten Teil aus Angehörigen der alten, angelsächsischen Stämme bestanden, mit ihrer normannischen Herrschaft häufig unzufrieden – einerseits mit dem König und dessen Vasallen, denen sie tributpflichtig waren und deren strenge Gesetze sie oftmals zu den mannigfachsten Beschränkungen des alltäglichen Lebens zwangen – andererseits mit dem geringeren Adel, der zwar gegen den König konspirierte, der jedoch nicht weniger darauf bedacht war, den gewöhnlichen Landsmann auszubeuten, sooft sich eine günstige Gelegenheit dazu bot!
Der Graf und seinesgleichen hatten also dafür zu sorgen, daß die königliche Macht weder durch die kleinen Barone noch durch das gewöhnliche Volk in Gefahr geriet. Da der Graf, wie wir gehört haben, noch überdies das Amt eines Sheriffs der Grafschaft versah, brachte ihn dies in häufige und unmittelbare Berührung mit seinen Gegnern, denen gegenüber er sich stets gerecht, aber von unerbittlicher Strenge zeigte! Diese Strenge, die er in der Ausübung seines königlichen Amtes gebrauchte und die ihn gleichsam dazu verpflichtete, manchereinen empfindlich zu bestrafen, hatte ihm freilich nicht nur Freunde eingebracht; denn mehr als nur einmal sah er sich in die höchst unangenehme Lage versetzt, harte Bußen gegen Waldfrevler, Diebe und allerlei Räubervolk, aber zuweilen auch gegen manch fürwitzigen Baron und Landesherrn zu verhängen, die sich wenig um des Königs Gesetz kümmerten und taten, was ihnen gefiel. Auf diese Weise hielt es ziemlich schwer, dem allgemeinen Räuberunwesen beizukommen, da beide Seiten es mit dem meum et tuum nicht gar zu genau nahmen und es daher zuweilen vorkam, daß der eine für des anderen Frevel büßen mußte; aber trotz seines bedenklichen Amtes, das die Ursache für allerlei Ressentiments war, welche man seiner richterlichen Würde gegenüber hegte, galt Graf Robert de Gaiforte allgemein als eine Person von großer Ehrenfestigkeit, da er, seiner Stellung ungeachtet, die ihm eine ebenso undankbare wie machtvolle Verpflichtung auferlegt hatte, es dennoch selten versäumte, Hilfe zu gewähren und seine Ritterlichkeit in den Dienst der guten Sache zu stellen, wo immer er sicher sein konnte, mit seiner Vasallenpflicht nicht in Widerspruch zu geraten!
Dennoch besaß Robert de Gaiforte einen unerbittlichen Feind: Baron Dieman de Boisvert, den Herrn von Blacktower! Niemand, nicht einmal die Ältesten, schienen sich genau an die Ursache jener hartnäckigen Feindschaft zu erinnern, ging diese doch, wie man erzählte, bis ins dritte Glied ihrer Ahnen zurück! Es gab diesbezüglich zweierlei Arten von Leuten: da waren die einen, die behaupteten, der alte Graf von Gaiforte, Roberts Großvater, habe zur Zeit Königs Johann Ohneland den damaligen Baron von Boisvert an Hugo de Lusignan, einen Widersacher des Königs, verraten; dann gab es noch die anderen, die erzählten, derselbe Streit wäre vielmehr der alten Gräfin wegen entbrannt, welche einen geheimen Liebeshandel mit dem damaligen Herrn von Blacktower unterhalten habe; zuletzt habe der alte Graf Wind von der Sache bekommen und bei sich geschworen, nicht eher von seiner Rache abzustehen, bis seine Schmach gesühnt wäre und den Baron von Boisvert daraufhin zum Kampf auf Leben und Tod gefordert! Jene beiden Geschichten waren es, die man sich damals unter den Leuten des Volkes erzählte, und obwohl keiner der beiden Widersacher in Gesellschaft jemals ein Wort über der ganzen Angelegenheit verlor, so hielt doch jedermann mit derselben Hartnäckigkeit und demselben Starrsinn an seiner Feindschaft fest, und dies umso mehr, als alle beide Männer von großer Kühnheit und unbeugsamem Willen waren; doch während der Graf von Gaiforte ein treuer Parteigänger des Königs war, rechnete Dieman de Boisvert, der Herr von Blacktower, zu jener großen Zahl Unzufriedener, die nur auf eine Gelegenheit zu warten schienen, des Königs Macht zu stürzen – ja bei nicht wenigen galt er sogar als deren heimliches Oberhaupt! Zur besseren Erhellung der Zustände jener Zeit soll allerdings nicht unerwähnt bleiben, daß diese Opposition gegen den König keineswegs eine offene war oder daß es gar eine Partei gegeben hätte, die sich in aller Öffentlichkeit zu ihrer Gegnerschaft bekannt hätte: es war vielmehr an dem, daß derlei Umtriebe gewöhnlich mit der größten Heimlichkeit gepflegt wurden, sodaß man ihnen umso schwieriger beizukommen vermochte!
Der Schwarze Turm oder die Burg Blacktower, wie sie denn zumeist genannt wurde, war die Feste Barons Dieman de Boisvert und hatte sich schon zu seiner Väter Zeiten in den Händen des Geschlechtes von Boisvert befunden, obwohl deren Besitztümer damals noch um ein Vielfaches ausgebreiteter gewesen waren; der Baron war aus mancherlei Gründen, wobei seine allseits vermuteten Umtriebe gegen die königliche Macht nicht wenig beigetragen haben mochten, bei König Eduard in Ungnade gefallen, und so hatte man ihn denn zuletzt unter mancherlei Vorwänden fast all seiner ehemaligen Ländereien enteignet und sie königsgetreuen Vasallen zum Lehen gegeben. Nur die Burg Blacktower mit ihrem ringsum gelegenen Land, die schon zur Zeit Wilhelm des Eroberers die Stammburg der Barone von Boisvert gewesen war, war ihm aus dem angestammten, väterlichen Besitz verblieben, und es war in der Tat nichts eher als ein glücklicher Umstand zu nennen, daß sich Herrn Dieman de Boisverts Burg in gebührender Entfernung von Gaiforte Castle befand, obwohl keine andere Herrschaft dazwischenlag und sich nur ein dichter, unbewohnter Wald zwischen beiden Besitzungen ausdehnte!
Wie wir bereits eingangs erwähnt hatten, bedeckte jener Forst seinerzeit noch weite Teile der lieblichen Landschaft Mittelenglands, doch der schier unersättliche Bedarf an Holz für den Schiffsbau, der die britische Nation in späteren Jahrhunderten zu einer der führenden Seemächte Europas machen sollte, hatte hinlänglich dafür gesorgt, daß in unseren Tagen nur mehr ein kläglicher Rest jenes einstmals so ausgedehnten Waldlandes übriggeblieben ist! Indessen dürfen wir uns jenes Waldland der damaligen Zeit keineswegs nur als ein weites, dichtbewachsenes und zusammenhängendes Gebiet vorstellen; denn an manchen Stellen wurde der Forst plötzlich von Lichtungen kleineren wie größeren Umfanges durchbrochen – diese waren gewöhnlich mit allerhand Unterholz wie Stechginster und kleinen, schlanken Zwergbirken bedeckt – oder weitete sich mit einemmal zu einer Heidelandschaft von oftmals beträchtlicher Größe, wo sich Moore, kleine Teiche und Seen, ja zuweilen ganze Häuser und Gehöfte inmitten des Waldes befinden konnten! Am Rande jener großen Wälder befanden sich für gewöhnlich die Dorfschaften, zuweilen aber auch kleine Städtchen sowie eine Anzahl von Schlössern und Klöstern, deren Besitzer es aus Gründen der Vorsicht und Klugheit vorgezogen hatten, ihre Wohnsitze nicht in jener abgeschiedenen und oftmals unwirtlichen Waldeinsamkeit zu errichten! Nicht überall also war der Forst so undurchdringlich und wild, wie er sich dem Betrachter nordwestlich von Gaiforte Castle zeigte; und nur, wenn man den großen und wuchtigen Bergfried der Burg bestieg, von dessen ehrfurchtgebietender Erscheinung wir zuvor schon vernommen haben, konnte man am äußersten Rande des Horizontes, wo sich in der Ferne die rauhen Berge von Derbyshire erhoben, über den dichten Kronen des Waldes eine felsige Bergrippe gewahren, auf deren äußerster Höhe die Burg Blacktower ihren klotzigen und düster anmutenden Zyklopenbau dem Himmel wie einen Riesenfinger entgegenstreckte! Wohl mochten an die dreißig Meilen Weges und mehr zwischen Gaiforte Castle und Blacktower liegen; und obwohl man diese Strecke bei gewöhnlichen Verhältnissen und mit einem guten Pferde in zwei, allerhöchstens drei Stunden zurückgelegt hätte, wäre man bei den meistenteils fehlenden Pfaden und dem dichten Unterwuchs, den der Wald an manchen Stellen aufwies, doch schwerlich an einem einzigen Tage dort angelangt! Bei klarem Wetter konnte man die Zinnen von Blacktower mit freiem Auge erkennen, doch haben wir hinlänglichen Grund zur Annahme, daß Graf Robert de Gaiforte, der im übrigen ein Mann von großer Besonnenheit war, die höchste Warte seiner Burg wohl selten in jener zweifelhaften Absicht betreten haben mochte, sich am bloßen Anblick der Burg seines Erzfeindes zu ergötzen – wie er den Turm als ein praktisch geschulter Geist eigentlich kaum jemals müßiger Betrachtung wegen, sondern überhaupt nur dann aufsuchte, wenn gewichtige Gründe dergleichen sinnvoll erscheinen ließen! –
Derselbe mächtige und hohe Bergfried von Gaiforte Castle, dessen beherrschende Größe wir nun schon mehrfach zu rühmen Gelegenheit fanden, blickte an jenem im übrigen recht fröhlichen Maimorgen ganz heiter und unmartialisch auf die glänzende und in festlichem Prunk erstrahlende Reiterschar hernieder, welche soeben durch das weit geöffnete Burgtor über die aus mächtigen Eichenbohlen gezimmerte Fallbrücke der Heide von Ashfield entgegenstrebte, und spiegelte sich fast ebenso anmutig im trüben Gewässer des Burggrabens, dessen Oberfläche schillernde Mücken und Libellen umschwirrten und auf dem Algen und die großen, dunkelgrün glänzenden Blätter der Seerose schwammen. Dem Zug voran ritt der Burgherr, Graf Robert de Gaiforte, auf einem stattlichen Apfelschimmel, dessen lange, mit golddurchwirkten Stickereien verzierte und an den Rändern mit Zobelpelz verbrämte Schabracke, ebenso wie der prächtige, mit Silber getriebene Sattel bereits erahnen ließen, daß sein Reiter sich auf dem Weg zu einem höchst bedeutenden Ereignisse befand! In der rechten Armbeuge ruhte nachlässig eine lange, reich mit bunten Bändern geschmückte Lanze, wie man sie in jener Zeit bei den großen Turnieren zu benützen pflegte, und seitwärts am Wehrgehenk hingen ein wuchtiges Breitschwert sowie ein kleiner, kostbar verzierter Dolch, dessen mit Edelsteinen besetzte Scheide hell im Sonnenlicht funkelte! Auch des Reiters Rüstung erschien von höchst vornehmer und edler Art: Helm und Brust zierte das Wappen der Grafen von Gaiforte – eine weiße Lilie auf blauem Hintergrund, das auf fast merkwürdige Weise dem Lilienbanner der späteren, bourbonischen Könige glich, und zierlich, fast tänzelnd, als ob das Tier die Festlichkeit des Augenblickes empfände, dem es Genüge tun wollte, strebte das anmutige Roß mit seinem Reiter vorwärts. Zwei vornehm gekleidete Damen folgten dem Grafen auf dem Fuß, beide auf schneeweißen Zeltern; und auf eben jene Weise, mit der fortgeerbte Familienbande sich verrät und das Antlitz der jüngeren Reiterin dem der älteren glich, ist unschwer zu erraten, daß wir die Herrin von Gaiforte mit ihrer Tochter vor uns haben, die, auf eben ihre Art in nicht minderem Prunk als der ihnen voranreitende Hausherr, ihres Weges zogen!
Lady Blanche de Gaiforte, die Herrin des Schlosses, war eine stolze und, ungeachtet ihres vorgerückten Alters, noch durchaus schön zu bezeichnende Dame, deren Ebenmaß des Gesichtes lediglich durch einen leisen Anstrich von Hochmut ein wenig getrübt wurde; und wirklich gehörte die Gräfin von Gaiforte wie keine andere zu jener Art ihres Geschlechtes, die sich der Würde und Bedeutung ihres Standes auf eine besondere Art verpflichtet fühlen und die deshalb immer und überall bestrebt sind, diese Würde auch unter allen Umständen zu wahren und, bietet sich zuweilen eine Gelegenheit, dieser auch in geziemender Weise Ausdruck zu verleihen. Auch das teure, nach der neuesten Mode gewirkte Gewand aus flämischem Tuche, das mit einem Korsett, in dessen Mitte ein Rubin funkelte, um die schlanke Hüfte einer Gestalt gegürtet war, der die Zeit noch kaum jene verräterischen Spuren eines reiferen Alters einzuprägen vermocht hatten, schien diesem Bestreben einen gewissen Nachdruck zu verleihen und spiegelte sich im Gesicht der schönen Reiterin, in deren Zügen die gemessene Würde und Anmut einer erwachsenen Frau zum Ausdruck gelangten! Der prächtige Kopfputz, der allerlei ins Haar geflochtene Bänder wies, verriet in manchen Stücken die eitle Sorgfalt, welche die Hausherrin auf ihre Toilette verwandt hatte und die sie stets der geschickten Hand ihrer Leibdienerin anvertraute, und in jener beinahe herausfordernden Art, mit der sie mit dem Äußeren ihrer Tochter zu wetteifern schien, lag ein Zug von jugendlicher Koketterie, die ihren reiferen Jahren nicht mehr ganz geziemen wollte!
Was die äußerliche Erscheinung betraf, war Lady Claire de Gaiforte, des gräflichen Paares einziges Kind, ganz das Ebenbild ihrer Mutter: doch was bei dieser von minder wohlwollenden Beurteilern zuweilen Hochmut und Koketterie genannt wurde, schien in den milderen und stilleren Zügen jener zu heiterer Jugendfrische und kindlichem Liebreiz verklärt! Auch Lady Claire trug ein festlich gewirktes Kleid, das trotz allen mäßigen Prunkes keinesfalls ausgesucht oder künstlich erschien, sondern den schlanken und biegsamen Leib in den gefälligsten Formen umschloß und unterhalb des goldenen Gürtels bis über die weißen und zierlichen Knöchel hinabfloß, sodaß gerade noch die von braunem Hirschleder gefertigten Schuhe unter dem Gewandsaume hervorsahen; ein goldenes, geflochtenes Band bekränzte nach der Art eines Diadems die Stirn der schönen Reiterin, deren Haupt edel und frei aus dem hochgeschlossenen Kleide emporstrebte und deren braune, üppige Flechten, vom Haarschmuck nur halb gebändigt, in seidener Fülle beinahe über den halben Rücken herabfielen! Des jungen Fräuleins Wangen schienen leicht gerötet, und jenes halb verschämte, halb dem kindlichen Bewußtsein ihrer eigenen Schönheit entspringende Inkarnat, das auf solch anmutige Weise ihr Antlitz zierte, der junge Busen, der in halb ängstlicher Erwartung unter dem Gewande schwoll und dessen vollkommene Anordnung, die wie natürlicher Zufall erscheinen sollte, in Wahrheit das Resultat sorgfältigster Berechnung war, ließen erahnen, daß jener Tag auch ein höchst bedeutsamer im Leben der jungen Lady werden sollte: diese Vermutung wurde indes noch von dem Grafen, ihrem Vater, bestärkt, der sich nun im Sattel umwandte, einen gleichsam prüfenden Blick über die bunte Schar von Reitern warf, die, mit wimpel- und bändergeschmückten Lanzen, noch immer durch das weit geöffnete Burgtor strömte und dessen Blick zuletzt wohlgefällig auf der holdseligen Gestalt seiner Tochter verweilte, deren Zelter in zierlichem Paßgange hinter des Grafen prächtig aufgezäumtem Streitroß einhergeschritten kam!
„Nun, Mylady“, versetzte er mit einem Lächeln, in dem sich seine ganze Zufriedenheit mit jenem Gegenstande, dem sein Anblick galt, auszudrücken schien, „fühlt Ihr Euch der Ehre gewachsen, dem großen Turnier des Königs als Königin der Ehre und der Minne vorzustehen, zu der man Euch aus dem Kreise der erlauchtesten Jungfrauen von ganz England erwählt hat?“
„Wahrhaft, mein teurer Vater“, gab jene zur Antwort, „ich will mir aufrichtig Mühe geben, damit ich allen Rittern, die mit Euch in die Schranken treten werden, aber auch all den edlen Damen, die dem Feste zur Zierde beiwohnen, keine Ursache zum Tadel gebe!“
Lady Claire zog bei des Vaters forschenden Blicken kaum merklich die schöngeschwungenen Brauen hoch und schlug zuletzt, verlegen in ihren Schoß blickend, das von langen, dunklen Wimpern beschattete Auge nieder! Lächelnd betrachtete der Graf den gesenkten Scheitel seiner schönen Tochter, um daraufhin halb amüsiert in seiner Rede fortzufahren.
„Ihr dürft nicht gleich wegsehen, Mylady“, setzte er schließlich hinzu, „sowie Euch ein Edelmann einmal recht ins Antlitz blickt! Durch Euere Wahl zur Königin des Turniers haben wir gleichsam ein Anrecht darauf erworben, uns an Euerer Schönheit zu erfreuen, mein Kind, und wohl möchte es manchen wie Unhöflichkeit dünken, wenn Ihr ihn eines Blickes nicht für würdig erachtet!“
„Hört nur fleißig hin, meine Tochter“, ereiferte sich nun die nebenher reitende Gräfin, „Euer Vater hat recht! Als ich noch jung und Turnierkönigin war“, – sie wandte sich mit stolzer Miene dem Grafen zu, – „nun, sagt selbst, mein Gemahl, habe ich da etwa zur Seite gesehen, als mir die Blicke der Ritter von allen Seiten zufielen?“
„Mitnichten, Mylady“, versetzte der Graf mit wachsendem Vergnügen, „ganz im Gegenteil! Ihr habt nur allzu kühn um Euch geblickt; Euer Auge, holde Dame, glich ganz dem Blick eines Sperbers, der seine Beute verschlingt, noch ehe er sie geschlagen hat!“
Der Graf lachte amüsiert und wandte seine Blicke abermals der jungen Lady zu!
„Nun, mein Kind“, fuhr er in seiner unbekümmerten Weise fort, „ganz so kühnlich wie Euere Mutter damals braucht Ihr freilich nicht zu blicken, und es wird immer noch genug sein, dem Blick eines Edelmannes standzuhalten!“
„Es gefällt Euch also, mich mit einem Sperber zu vergleichen, Mylord?“ ließ sich nun die in ihrer Eitelkeit sichtlich gekränkte Dame vernehmen.
„Ein nicht ganz unpassender Vergleich, wie Ihr selbst zugestehen werdet!“ versetzte der Graf amüsiert.
„Nun, so wißt denn, daß jener Sperber, von dem Ihr sprecht, seine Beute wohl geschlagen hat; in der satten Zufriedenheit seiner Ehejahre vergißt man derlei Dinge gar leicht, und nur gut, daß Ihr den Sperber wieder einmal daran erinnert habt, seine Fänge zu brauchen!“
Indem sie einen funkelnden Blick nach dem amüsierten Grafen schoß, der die Schwächen seiner Gemahlin nur zu gut kannte und der jene reizenden Wortgefechte liebte, bei denen er aufgrund seiner größeren Gelassenheit zumeist als Sieger hervorging, hob Lady Blanche triumphierend das Haupt und sah mit stolzer Unnahbarkeit auf den weiteren Verlauf des Weges zu ihren Füßen.
Dieser führte nun, die Heide durchquerend, eine breite Baumallee von hohen, schlanken Pappeln entlang, ehe er sich zuletzt mit jener Landstraße vereinigte, die man in den alten Tagen Königsstraße genannt hatte und ihrer ganzen Ausdehnung nach den Wald von Sherwood durchlief. Lange noch blickte der mächtige Turm von Gaiforte Castle dem prächtigen Zuge hinterher, ehe er zuletzt hinter sanft geschwungene Waldberge hinabtauchte! Als man sich zuletzt auf der beständig breiter und breiter werdenden Straße allmählich den Mauern von Nottingham zu nahen begann, dessen auf einem großen Sandsteinfelsen gelegene Burg schon von Ferne über die Bäume grüßte, begann sich auch die Gegend ringsum immer mehr mit Menschen zu beleben; denn von allen Seiten zogen bunte Scharen von Rittern und Knappen des Weges, und je näher man der Stadt kam, desto mehr mischten sich allerlei wunderliche Gestalten wie Gaukler, Spielmänner und ähnliches Gesindel unter die lebhaft dahinflutende Menge!
Endlich lichteten sich die letzten Bäume des Forstes, und vor ihnen öffnete sich eine breite Ebene, in deren Mitte die Häuser der Stadt sich zu Füßen jenes Felsens hinkauerten, der die Burg Nottingham Castle trug; die Feste war bereits in den Tagen Wilhelm des Eroberers erbaut worden und diente den englischen Königen seitdem als beliebter Landsitz, in der sie namentlich in den Tagen des Herbstes während der Jagdsaison ihren Aufenthalt zu nehmen pflegten, denn die ringsum gelegenen Wälder waren königliches Jagdrevier. Allerlei Aufseher und Flurschützen waren bestellt, um das hochfürstliche Wild vor fremdem Zugriff zu beschützen, doch so sehr man auch bestrebt war, den Wildbann als alleiniges Vorrecht der vornehmen Gesellschaften zu betrachten, konnte man nicht verhindern, daß jene kecken Räuberhorden, die überall in den ringsum gelegenen Wäldern hausten und die sich selbstbewußt „Merrymen of the Forest“ nannten, die königlichen Anordnungen mißachteten und, strenger Bußen ungeachtet, sich nicht davor scheuten, das im Walde in reichlicher Anzahl vorkommende Wild nach ihrem eigenen Gutdünken zu gebrauchen, soweit sich dergleichen auf kluge und umsichtige Weise anstellen ließ: denn die Zahl der Wildhüter war bei weitem zu gering, um in den teils sehr abgelegenen Gebieten des ausgebreiteten Forstes überall nach dem Rechten zu sehen!
Überall auf den zahlreichen Wegen und Pfaden, die quer über die breite Ebene von allen Seiten der Stadt entgegenführten, sah man unterdessen bunte Scharen von Rittern, Edelleuten, Knappen, Squires sowie allerlei Volk jeglichen Standes einherziehen, und häufiger Trompeten- und Hörnerschall, der bisweilen von der Höhe des Schlosses her zu vernehmen war, schien darauf hinzudeuten, daß in der Stadt ein außerordentliches Ereignis stattfinden mußte! Graf Robert de Gaiforte hatte mit seinem stattlichen Gefolge endlich das Stadttor erreicht; Nottingham war damals gerade im Begriffe, zu einer der wichtigsten Städte in den Midlands zu werden und mochte immerhin ein paar tausend Bewohner zählen – eine stattliche Zahl für damalige Verhältnisse, wenn wir überdies bedenken, daß in jener Zeit selbst so bedeutende Städte wie London oder das mächtige Paris kaum mehr als allerhöchstens hunderttausend Menschen zählten!
Die Straßen von Nottingham waren an jenem Tage überall mit lärmendem und sich lebhaft gebärdendem Volk erfüllt, das sich entlang der aus Stein erbauten Häuser, die sich in einer Reihe längs des Burgfelsens hinzogen, seinen Weg durch die engen Gassen bahnte, jener Stätte entgegen, wo das Turnier stattfinden sollte! Durch einen mehr breiten als hohen Torweg, neben dem sich ein plumper Wehrturm erhob, gelangte man zuletzt an einen höchst reizvollen und romantischen Ort, der sich rückwärts am Burgfelsen ausbreitete und von dessen höchster Höhe das Schloß mit seinem altersgrauen Gemäuer, zwischen allerlei Buschwerk und Bäumen verborgen, malerisch auf die bunten Gefilde herniedersah! Eine breite Allee von hochstämmigen Platanen führte ebenen Grundes zum Anfang eines großen Rasenplanes, dessen helles und saftiges Grün verlockend zwischen den Bäumen hervorschimmerte! Vor demselben Platze, der durch ein Tor abgeschirmt war und bei dem sich allerlei Herolde und Marschälle in buntgestickten Wappenröcken eingefunden hatten, ebenso, um die zahlreichen Gäste zu empfangen wie unerwünschte Besucher von dem Orte fernzuhalten, hatten Krämer ihre Marketenderbuden errichtet und boten ihre Waren feil! Auch Spaßmacher und Possenreißer trieben sich da und dort in der Menge herum, die gegen geringen Lohn bereit waren, dem Volke ihre lustigen und oftmals lächerlichen Mummereien darzubieten – hier gab einer einen schlechten Fackeltanz zum Besten, und dort zog ein anderer allerlei drollige Grimassen, indem ihn eine lärmende Schar von Kindern umdrängte, die sich weidlich an den billigen Späßen zu ergötzen schien!
Der Turnierplatz selbst war gut gewählt und hätte besser nicht gelegen sein können; auf der Seite nach dem Burgfelsen erhob sich eine stattliche Anzahl großer und stämmiger Eichen mit breiten Kronen, die sich fast die gesamten Ausdehnung des Schloßberges entlang hinzogen. Gegen Westen hin befand sich der Eingang, von dem wir vorhin berichtet hatten und durch den sich nun ein breiter Strom von Rittern und Edelleuten ergoß, um sich zu jener ansehnlichen Menschenmenge zu gesellen, die sich bereits auf dem Platze tummelte; nach Norden hin klomm der Rasen in mäßiger Neigung gegen den Waldsaum empor, vor dem sich bereits eine beachtliche Anzahl von Menschen eingefunden hatte, dem Schauspiel beizuwohnen. Ostwärts, dem Eingang auf geradem Wege gegenüber, befand sich eine hohe, aus allerhand hölzernem Strebewerk gezimmerte Galerie, die mit kostbar gewirkten Teppichen und Tüchern ausgeziert war und die, wie es unmißverständlich schien, den Ehrenplatz für die vornehmsten und edelsten Gäste vorstellte und außerdem von einem breiten Baldachin überschattet war. Daneben erhoben sich noch weitere Tribünen, die, weniger prächtig geschmückt und von niedrigerem Rang, die Plätze für die Angehörigen des geringeren Adels bezeichneten. Hinter den Zäunen, welche das Turniergelände einfaßten, befanden sich die Plätze für die wohlhabenden Bürger sowie jenen Teil der Gesellschaft, die zwar nicht den Anspruch erheben durften, sich zu den Ersten des Volkes zu zählen, deren mannigfache Geschäfte sie indes gegenüber den gewöhnlichen Landsleuten in eine entschieden vorteilhafte Position versetzten. Alles übrige Volk mußte sich damit begnügen, hinter den Galerien und den Plätzen der Bürger auf dem Rasenplan entlang des Waldrandes oder nahe des Burgfelsens Platz zu finden; da sich das Gelände in beiden Fällen nur von mäßiger Steilheit zeigte, war dies nicht eben ein unüberwindliches Hindernis, da man von jener gleichsam erhöhten Warte außerdem bequem über die vorderen Plätze hinwegblicken konnte und so, wenn auch aus einiger Entfernung, nichts versäumte, was sich innerhalb der Schranken begab!
Als des Grafen Gefolge seinen Einzug hielt, wurden sogleich die Zinken geblasen, und die schwergewaffneten Turniermarschälle mit ihren Hofbeamten mühten sich, für die edlen Gäste eine Gasse durch das Volk zu brechen.
„Platz! – Platz für die Königin der Ehre und der Minne!“ hörte man nun von allen Seiten rufen, und ehrerbietig wichen die Leute zurück und blickten mit unverhohlener Bewunderung auf den stolzen Zug von Rittern und Knappen, prächtig geputzten Damen und Edelleuten, die mit in der Sonne glänzenden Rüstungen und wehenden Bannern nun an der Menge vorbeirauschten und an deren Spitze die junge Claire de Gaiforte, die Turnierkönigin, ihrem erhabenen Sitze entgegenstrebte!
„Ein Hoch auf die Königin der Ehre und der Minne, der Ritterschaft edle Beschützerin und Schirmherrin!“ rief einer der Turniermarschälle aus, und „Bravo! – Bravo! – Hoch! – Hoch!“ schallte es aus hundert Kehlen zur Antwort, während die schmetternden Klänge der Zinken aufs Neue weit über den Turnierplatz auf die ringsum gelegenen Gründe hinausriefen, auf deren mannigfach verschlungenen Pfaden noch immer von allerwärts die Zuschauer herbeiströmten. Lady Claire hatte indessen das Ende des Platzes erreicht, und zwei Hofdiener in reich gestickter Livree, welche des Königs Wappenschild auf der Brust führten, eilten sogleich herbei und hielten der schönen Reiterin die Steigbügel, die sich nun in den zierlichsten und anmutigsten Bewegungen von ihrem Zelter begab; ein junger, schmucker Edelpage ergriff zuletzt auf das schicklichste ihre Hand und führte sie zum Ehrenplatz der Turnierkönigin empor, von dem aus sie die Hoheit – oder die Patronage, wie man sich in der normannisch-französischen Sprache jener Zeit auszudrücken pflegte, über das Turnier beobachten sollte!
Mit vor Aufregung geröteten Wangen hatte Lady Claire alles geschehen lassen, was der Augenblick von ihr zu fordern schien. Anfangs hatte ihr jene nervöse Unruhe, die sie seit dem Auszug aus der väterlichen Burg mit fast beklemmender Gewalt in ihrer Brust verspürt hatte, fast den Atem geraubt; doch als sie nachgerade gewahrt hatte, wie alles Volk, Ritter und Landsmann, mit glänzenden Augen zu ihrer holden Erscheinung aufsah und ihr lebhaft zujubelte, da ward sie von Mal zu Mal sicherer in ihrem ganzen Gebaren, und zuletzt brachte sie es sogar dahin, der Menge von ihrem erhabenen Platze huldvoll zuzuwinken, ein Umstand, der von den Zuschauern mit begeisterten und ehrerbietigen Zurufen bemerkt wurde! Mit einem tiefen und erleichterten Atemzug, der ihre Brust schwellen ließ, hatte Lady Claire, von dem Edelpagen geleitet, zuletzt ihren Platz eingenommen und benützte sogleich die Gelegenheit, sich von ihrem aussichtsreichen Sitze einen Überblick über den Turnierplatz zu verschaffen. Ein großer Teil der Turniergäste hatte die ihnen angewiesenen Plätze bereits eingenommen, doch noch immer strömten Scharen von Menschen über die Platanenallee und durch das Tor in die Schranken, die von bunten Gestalten wimmelten! Als der Ort sich zuletzt mehr und mehr zu füllen begann, kündigten laute Trompetenstöße vom anderen Ende des Platzes die Ankunft eines weiteren erlauchten Gastes an!
„Seine Majestät, der König von England!“ riefen die Turniermarschälle aus, und schmetternd hallten die Zinken in die blauen Frühlingslüfte hinaus!
„Zu Ehren unserer erlauchten Majestät Eduard Plantagenet, König von England!“ rief es abermals, und „Hurra! – Hurra! – Vive-le-roi! – Vive-le-roi!“ jubelte das Volk, und am Tor zum Eingang konnte man sogleich einen prächtigen Zug von Rittern und Edelleuten gewahren, der sich, mit glänzenden Rüstungen und wallenden Federbüschen, die wimpelgeschmückten Lanzen aufwärts in das zarte Blau des Himmels gerichtet, unter schmetternden Trompetenklängen auf einen erhöhten Platz zubewegte, auf der man eine Anzahl bunter Zelte, jedes einzelne mit einem Wappenschild versehen, aufgeschlagen hatte! Was nach der Ankunft des Königs noch alles geschah und was sich hernach auf dem Turnier an abenteuerlichen Dingen begab, davon wollen wir dem Leser im nächsten Kapitel unserer Erzählung berichten!
Kapitel II
Ein junger, unbekannter Ritter aus der Gascogne erscheint …
König Eduard von England verdiente, wenn er hoch zu Pferde saß und in prunkvoller Rüstung einherritt, in der Tat eine höchst einnehmende Erscheinung genannt zu werden; denn sobald man seine vornehme und edle Gestalt betrachtete, wie er trotz seiner auffallenden Größe Pferd und Gewaffnung gleichermaßen geschickt zu brauchen verstand, schien es nicht weiter verwunderlich, daß man ihm seines großen und stattlichen Wuchses wegen den Namen Eduard Langbein verliehen hatte – wurde er doch nicht allein in England als einer der tapfersten Ritter des gesamten Abendlandes verehrt und hatte sich in der Schlacht wie im Turnier zu unzähligen Malen als Meister seiner Zunft erwiesen. Sein unvergleichlicher Mut, seine Kampfestugend, seine Stärke und Tapferkeit waren ohnegleichen im Lande und wurden vom Freunde ebenso gerühmt wie vom Feinde gefürchtet, und namentlich erzählte man sich von ihm in ganz England eine höchst merkwürdige Geschichte.
Einst war er ...
Zurück
|