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LESEPROBE

In schattichtem Dunkel wölbten die Bäume des Waldes ihr vertrautes Blätterdach über dem Pfade und ließen nur zwischen seinen Zweigen bisweilen ein Stück blauen Himmels erkennen. Wie friedvoll und still es zwischen seinen altehrwürdigen, bemoosten Stämmen gleich zu sein schien, so überaus mannigfaltig und wundertätig war das Leben, welches sich auf das lebhafteste in seinen grünen Hallen regte; allerlei Getier spähte, neugierig und scheu, aus den verschiedensten Verstecken hervor, ein Quell sprang silbern von den sonnenbeglänzten Höhen hernieder, hurtig über Stock und Stein brausend, und die vielen Waldvögel gar sangen in verlockenden Tönen die süßesten Weisen, während ein leiser Wind in den Blättern flüsterte. Diesseits wie jenseits am Bachrande sproßten blaue Glockenblumen und gelbe Primeln, ja sogar das spröde, so gar mit seiner Schönheit geizende Maienglöckchen zeigte dann und wann sein weißes Kittelchen dazwischen, den kühlen Hauch des Forstes wie mit der frischesten Morgenröte durchdringend. In der einsamen Waldesstille ward nun mit einemmal eine wohlklingende Knabenstimme vernehmlich, welche von Mal zu Mal näherzukommen schien; es währte denn auch nicht allzu lange, da kam, vergnügt vor sich hinsingend, ein äußerst schmuck aussehender Jüngling des Weges gezogen, der, wie man bei näherem Hinsehen nun bemerken konnte, einige Blätter Papier, einen abgeschriebenen Gänsekiel sowie ein Tintenfäßchen in einem buntscheckigen Bündel, das er nachlässig über die Schultern geworfen hatte, hinter sich hertrug. So seine Schritte munter längs des Pfades weiterfördernd, gelangte er nach einem Weilchen an eine alte Waldmühle, die sich auf einem lieblich gelegenen, von allerlei Bäumen und Blumen umhegten Anger zu Füßen eines Hanges erhob. Mit wildem Ungestüm stürzten die kühlen Wasser von einer Wehr über das mächtige Mühlrad, griffen rüstig in die Schaufeln desselben und drehten es heiter! „klipp-klapp!- klipp-klapp!“ um die Achse herum. Auf dem moosbewachsenen Dache saßen gurrend zwei weiße Turteltauben, sich immerfort mit ihren Schnäbelchen embrassierend, und, der Türe zunächst, sah ein kleines, weizenblondes Mädchen mit neugierigen Blicken zum Fenster hinaus und schnippte unaufhörlich Kieselsteine, die es gesammelt hatte, in die schäumende Flut des Baches hinein, der sie sogleich, kaum da sie noch recht geworfen waren, unwiederbringlich verschlang. Sowie die Kleine des unverhofften Wanderers ansichtig wurde, rümpfte sie in einer Art, wie sie Kindern nun häufig eigen, das niedlich geschwungene Näschen und neigte ihre zierliche Gestalt weiter über die Brüstung.
„Stella, Herzmädchen!“, rief der Ankömmling der unbekümmerten Spielerin schon von weitem zu, „wie mir scheint ist Schwesterchen wohl schon auf der Weide?!“ „Ei freilich“, entgegnete die Kleine eifrig, indem sie einen weiteren Kieselstein warf, „es geht doch schon fast gegen Mittag! Es verwundert mich außerordentlich, Valentino, wie du die Zeit nur so vertändeln konntest!“ „Schwerenot!“, versetzte verlegen der Jüngling, „ich muß mich in der Tat recht ordentlich verschlafen haben! Wir armen Gesellen nämlich, die wir uns nun so recht schüchtern und schamhaft Poeten zu bezeichnen wagen, weil wir eben nichts Tüchtiges gelernt haben mögen, außer der Kunst, die Stunden in Muße hinzubringen (und in der Gemeine Augen wohl auch sonst höchst unnütze Weltbewohner sind, die zu nichts taugen) – nun, wir ruhen, mit Verlaub, zumeist untertags und geruhen zu arbeiten des Nachts, während alles andere schläft!“ „Da träum‘ ich doch lieber eins“, bemerkte die Kleine, „als daß ich mir über ein paar Zeilen das Gehirn zermartern wollte – nun! im Grunde seid ihr Dichter doch so recht eigentlich nichts Anderes als Tagträumer, wenn ihr auch gleich nachts zu arbeiten vorgebt!“ „Ich muß sagen, allerliebster Himmelsstern“, sagte Valentino, „für deine Jahre hast du ja erstaunlich viel Poesie im Leibe, wobei ich mich allen Ernstes frage, wo du dieselbe bloß hernimmst!“ „Kindersinn, nichts weiter!“, antwortete die reizende Philosophin unverwandt, sich mit angewinkelten Knien auf das Fensterbrett hockend, während die lichtblauen Augen schalkhaft aufblitzten; „aber wenn du dich nun wahrhaft einen Dichter nennen willst, dann solltest du dergleichen ja auch besitzen! Aber einerlei; wie dem auch sei, mit Märchen jedenfalls, da kennst du dich vortrefflich aus, da sie unsern Träumen doch in so vielem gleichen und ich sie so gerne erzählen höre! Meine Mutter sagt immer darüber, sie seien die Wahrheit in der Lüge, und wenn ich da schon bin und beständig lügen muß, so wie’s die Krämer tun, dann wenigstens wahr – hei! sag, Freund, hast du nicht eben Laune, mir eins zu erzählen, da war doch jenes mit der Königstochter, welche einen ganz gewöhnlichen Frosch küßte, der alsdann zu einem schönen Prinzen ward ...“
„Laune hätt‘ ich vollauf“, unterbrach sie lachend der Jüngling, „allein es gebricht mir leider sehr an Zeit, hab‘ ich Dummkopf doch beinah‘ den ganzen Vormittag mit Phantastereien hingebracht! Außerdem muß ich dir, ganz zu meinem innerlichsten Bedauern, gestehen, daß ich seit einem Weilchen nur mehr das von der kleinen Müllerstochter im Kopfe habe, die, obzwar von einem Prinzen geküßt, dann aber zu einer abscheulichen, ellendicken Itsche ward ...“
„Du willst mich ja bloß mit Fleiß anführen!“, rief die Kleine hier leicht verdrießlich, weil sich zum Besten gehalten glaubend, aus, „behalt‘ also dein Märlein fein für dich und spotte fortan Phylliden mit deinem albernen Gefasel von Müllerstöchtern, die zu Kröten werden!“ und damit warf sie mit gespielter Entrüstung einen ihrer Steinchen nach dem Übermütigen, der, sichtbarlich vergnügt, also feststellte: „Gottlob, Mädchen, ist deine große Schwester Phyllida ja auch keine richtige Müllerstochter, sondern eine Schäferin, weshalb sie sich aus derlei Spitzfindigkeiten bestimmt nicht sonderlich viel machen wird! Für diesmal genug mit Kordialitäten, gehab‘ dich wohl, liebe Stella, ein andermal will ich dir liebend gern wieder etwas Reizendes erzählen!“ „O ja“, rief ihm das Mädchen noch hinterdrein, während er sich bereits springend auf dem Wege entfernte, „vielleicht gar nämliches von jenem unglücklichen Dichter, der seine Tragikomödien so hoch auf die Cothurne trieb, daß er davon auf die Nase fiel!“
Indem Valentino, die letzten Worte der beredten Kleinen noch vernehmend, durch den Tann eilte, hatte er, noch ganz im frohen Nachklang des belustigenden Gespräches, den Saum desselben gar bald erreicht; von einem erquickenden Strom von Kühle umgeben, welcher den Waldesschatten umfloß, schritt er auf die sonnigte Aue hinaus. Überall, wohin sein Auge auch sah, nickten die bunten, duftenden Blumen im Winde, der wie eine sanfte Braut über die Gräser fächelte und jegliches auf das wohltätigste zu liebkosen schien. Inmitten der Wiese erhoben sich, hier wie dort, alte Bäume mit hohen Kronen, welche sämtlich im schwanenweißen Blütenkleide prangten, tausenderlei farbenprächtige Schmetterlinge umtänzelten in trunkenem Flug die Halme der Gräser und Kräuter und schwärmende Bienen summten geschäftig um die Kelche und Blüten, welche sich ganz wie in sehnsuchtsvollem Verlangen nach dem Sonnenlichte zu neigen schienen. Hinter demselben Anger, welcher in seiner Mitte einen sanften Hügel beschrieb, ragten sonnenbeglänzte Waldberge hervor, und turmhoch darüber, einem strahlenden Götterthrone gleich sich in den heitern, von silbernen Wölkchen durchwandelten Himmel erhebend, leuchteten prächtig im stillen Kreis die Gletscher und die hell in der Sonne funkelnden Häupter der Alpen. Ein unbeschreibliches Gefühl der Sehnsucht nach all jenen Dingen, die er nicht zu benennen, wohl aber zu fühlen vermochte, bemeisterte sich Valentinos mit stürmischer Macht; seinen Fuß verhaltend, horcht‘ er leise nach dem grünen, buntgesprenkelten Blumenmeere hinaus, gerade, wie es schien, als ob er nicht etwas heimlich Verhofftes sich regen vernähme, doch wie er auch gleich alles zu erhorchen sich abmühte, nichts war im weiten Umkreise zu hören – nur das tausendfältige Gesumm der vielen Insekten, das vertrauliche Zirpen der Heimchen und bisweilen der Gesang eines Waldvogels durchdrangen die heilige Mittagsstille, die gleich einer mütterlich besorgten Wärterin des Friedens über dem schweigenden Lande wachte. Von der Ferne trug der Wind den Klang der Dorfglocken über das bräutlich geschmückte Land. Der Verzückte, die Augen mit den Händen beschattend, blickte in unaussprechlichem Verlangen über die Wiesen und Wälder nach dem Gebirge hin, welches da mit seinen stolzen, schneebekränzten Häuptern so unnahbar und frei zu ihm herniedergrüßte wie eine unerringbare Schöne. Indem er eine Weile so gestanden und in die Ferne gesehen hatte, ließ er sich, wie er eben war, in das hohe Gras fallen, nahm ungesäumter Dinge Papier und Feder zur Hand und begann mit einigem Eifer zu schreiben. Allein er wußte sich, entgegen aller sonstigen Gewohnheit, heute nicht so recht darin zu finden, es wollte ihm durchaus nichts Rechtes mehr einfallen, sodaß er sich, das Schreibgeräte unlustig beiseite schiebend, platterdings der Länge nach in der Frühlingswiese ausstreckte. Da sah er nun denn die Halme und Gräser sich lustig über seinem Kopfe hin- und herbewegen, die Blumen neigten gleichfalls ihre Köpfchen dazu, als wollten sie über dem Ruhenden in buntem Gepränge gleichsam zusammenstürzen und ihn unter ihren Blüten begraben. Am blauen Himmel sah er die silbernen Wölkchen langsam über die Erde hinwegziehen, sodaß ihn abermals ein unwiderstehliches Verlangen befiel, doch mit einem dieser Himmelsgebilde, wie er dieselben sich nun so fortwährend verändern sah zu den zierlichsten und wunderlichsten Gestalten und Formen, in die unendliche Ferne jener Höhen reisen zu können. Und wie er nun so ganz und gar unbesorgt dalag in dem warmen Sonnenlichte, den freiheitstrunkenen Sinn dem allersüßesten Wahn, den kühnbeflügeltsten Phantasien, deren wahrhaftige Poesie immer nur imstande ist, ganz überlassend, schlief er zuletzt darüber ein.
Da war ihm doch richtig, als wandle er über reich geschmückte Gefilde hin; soweit das Auge sah, war alles übersät mit unzähligen, in voller Blüte stehenden Margeritenblumen, die den herrlichsten Duft atmeten, den man sich in Träumen immer nur vorzustellen wagte! So schritt er immerzu wacker fort, bis er endlich inmitten derselben Wiese an einem Platze anlangte, wo allenthalben weiße Lämmer weideten und wo, einer blühenden Linde zu Füßen, ein Schäfermädchen im anmutigsten Liebreiz im Schatten des Baumes ruhte. Sowie er seiner ansichtig ward, rief er es sogleich beim Namen, worauf es sich, wie ein himmlisches Geisterwesen, mit den zierlichsten Bewegungen aus dem Grase erhob, sodaß Valentino plötzlich der festesten Überzeugung zu sein glaubte, eine wahrhaftige Undine vor sich zu haben. Das Mädchen indessen, das ordentlich wie Phyllida aussah und welches der einfältig Berückte nun in der Tat für eine Undine hielt, schien ihm ohne weitere Anstalten zu folgen. So schritten sie also denn beide barfüßig und wie schwebend über die Gründe hin, bis sie schließlich nach einer steilen Felsenwand gelangten, die bis zur obersten Höhe ganz mit Efeu überwachsen war und welche zuunterst eine Grotte bildete, darin ein mit verblichenen Farben bemaltes Marienbild seinen Platz hatte. Wie sie nun vor dem frommen Bildnisse niederknieten und sie die heilige Jungfrau so wundersam züchtig und demutsvoll anzublicken schien, da war es ihnen, als ob sie sich plötzlich bewegte und mit milder Stimme zu ihnen spräche. Dann traten, zu ihrer beider Erstaunen, unverhofft die Felsen entzwei, und vor ihren Augen tat sich eine Höhle auf, der sie sogleich, mit leisem Schaudern, folgten. Sie waren auch noch nicht lange fortgeschritten, da erweiterte sich der unterirdische Felsengang zu einer weiten, prächtigen Wölbung, worin sie, zu ihrer großen Verwunderung, ein Felsenbecken vorfanden, welches bis zum Rande mit einer wunderlichen, lichtblauen Flüssigkeit angefüllt war. Währenddessen Valentino noch immer wie in allerhöchstem Erstaunen begriffen schien, war Phyllida, oder vielmehr die Undine, für die er sie nach wie vor halten zu müssen glaubte, bereits in die lockenden Fluten eingetaucht. Und da sie gleich nur mit einem außerordentlich feinen, fast durchsichtigen Kleide angetan war, ward nämliches auch sofort von den seltsamen Wogen benetzt und haftete demzufolge derart an ihrem Leibe, daß Valentino darüber wegsehen mußte. Und in der Tat, zunächst war er so außerordentlich erschrocken bei dem Gedanken, eine Undine, noch dazu eine fast unbekleidete, in einem mehr als nur sonderbaren Elemente so unverhohlen beim Bade zu beobachten, sodaß er sich unverzüglich hinter einem nahen Felsen verbarg, damit sie ungestört ihres Bades pflegen könne. Ungeachtet dieser seiner fürsorglichen Rücksichtnahme, die wir kurzweg getrost als eine altritterliche Anwandlung bezeichnen wollen, ertappte er sich ein- um das andere Mal selbst dabei, wie er mit nicht unbemerkenswerter Neugierde hinter dem Felsen hervorguckte und die Undine bei ihrem höchst wundersamen Bade zu erspähen trachtete. Soeben hatte sich diese jener uns bereits bekannten, hauchdünnen Gewandung entledigt und war schnell in den bläulichschimmernden Fluten untergetaucht, daß ihr dunkles, seidengleiches Haar wie ein geheimnisvoller Schattenkreis auf der Oberfläche des Spiegels wallte. Die Pulse rasten dem armen Valentino wie ein Uhrwerk und das Herz klopfte ihm schier zum Zerspringen im Leibe, doch wußte er kein Mittel dawider, sich von jener Stelle loszureißen, an der sein schmachtendes Auge gefesselt hing, und wie sie nun gar wieder emporkam und ihm mit dem Röckchen im Arme zuwinkte, er möge seinerseits Anteil an dem ergötzlichen Bade nehmen, da befiel es ihn mit einer solch jähen Bangigkeit, daß er für einen kurzen Moment schlechterdings davongelaufen wäre! Es war nun aber, solches sei nun ganz zu des Ärmsten Verteidigung versichert, auch einer jener denkwürdigen Augenblicke, der selbst in dem altehrwürdigen Tithon wieder die süße Kraft und Lust der Jugend in den Gliedern entzündet hätte; das gelöste Haar fiel in solch üppiger Schönheit, wie man es wohl sonst nur von der liebreichen Berenike gesehen, auf den Spiegel des Teiches darnieder und umfloß in seltsam verschlungenen Formen den reizendsten Busen, der wohl immer nur eine Undine zieren kann. Nur gut, daß sich die Gestalt der Schönen von den Hüften ab in der Flüssigkeit befand, sonst wäre der gute Valentino vermutlich im ersten Schrecke noch richtig davongelaufen. Letzterer, ungeachtet er zunächst noch ein leises Unbehagen fühlte, konnte sich endlich nicht mehr länger enthalten und sprang, einem innerlichen Drange folgend, gleichfalls in das blaue Element hinein. Dies schien nun der Undine ganz ausnehmend zu gefallen, sie tauchte für einen kurzen Augenblick unter, sodaß man sie nirgendwo mehr sehen konnte, als sie vor dem erstaunten Schwimmer plötzlich wieder auftauchte und dieser sich unverhofft an den reizenden Busen seiner lieblichen Gefährtin gerettet sah! Auch mußte er sich sehr zu seinem Verwundern eingestehen, daß jenes klare Element, darin sie sich beide bewegten, den wundertätigsten Einfluß auf seinen, und, wie er sich mit einem raschen Seitenblick auf Phyllida oder die Undine, wer immer sie nun sein mochte, zu versichern wußte, auch auf ihren Körper auszuüben schien. Eine ihm bislang ungekannte Kraft und Energie durchdrang seine Glieder, er fühlte sich in höchstem Grade erfrischt und erquickt wie nie zuvor, sein Geist schien mit einemmal wie von einer Art höhern Erkenntnis beseeligt, und bei alledem drängte sich die Undine so überaus sinnenfroh an ihn, sodaß er, voll der Süßigkeit im glückstrahlenden Auge, augenblicklich vergehen zu müssen glaubte! Da löste sich jene bläuliche Flüssigkeit, die Ränder des Beckens wie den Leib Valentinos und seiner anmutigen Begleiterin wie mit kühlen Tautropfen benetzend, in wunderlich zerfließende Wesen auf, die oberhalb des Beckens in der Luft zu hängen und sich allaugenblicklich zu verformen schienen. Jeglicher klare Gedanke versank ihnen in den unbeschreiblichen Bildern, welche sich annoch vor ihren erstaunten Blicken gestalteten. Es war ihnen nun, ehe sie die zauberische Erscheinung noch so recht begriffen und in den unwiderstehlichen Bann derselben gezogen worden, als müßten sie sich an den Händen fassen, damit ihnen kein Unheil widerführe.
Die Grotte, welche eben zuvor noch in einem milden, bläulichen Lichte erschienen war, verdüsterte sich nun zusehends, bis in scheinbar unabsehbarer Ferne ein Gewölbe sichtbarlich wurde, das in seiner gedehnten Form den Kosmos vorzustellen schien. Zahllose Sterne und Sonnen funkelten darin, zischten bald verglühend über die Fläche hin und erloschen zuletzt irgendwo in den endlosen Sphären. Ein rötlicher Nebel schob sich, wallende, sich auf das wunderbarste verformende Säulen und Gestalten bildend, gleich einem Schleier vor dieses Bild hin, mit einem Male rollte es wie von einer Explosion, etwa, wie wenn man Alkahest in einer Alchemiestube entzündet, und etwas, das an eine Supernova erinnert, fuhr mit einem grellen Feuerblick durch das imaginäre Universum hin, um an einem ganz bestimmten, bezeichneten Orte zu verglühen, und es ward nach und nach immer kenntlicher, daß ein blau schimmernder Planet, von hellen Wolkenstreifen umgeben, vor ihnen gleichsam in der Luft schwebte. Allsogleich wurden sie eines prächtigen Gartens gewahr, darin zwei nackte Menschen waren, ein Mann und ein Weib; ein Ackerbauer, der einen Schafhirten erschlug; in der Ferne ein hoher Berg, darauf eine Arche gestrandet war, voll mit dem mannigfaltigsten Getier; ein mächtiger Turm, welcher gleichsam in die Wolken zu ragen schien, dabei viele Menschen, die, scheinbar verwirrt in den verschiedensten Sprachen aufeinander einredend, sich ringsum zerstreuten; ein Mann, vor einem dornichten Strauche stehend, daraus lohende Flammen hervorschlugen; so ging es unaufhaltsam weiter in beständig wechselnden Szenen und Bildern, Drommetten erklangen, steinerne Wälle fielen, es traten die Gestalten nacheinander aus den zerfließenden Schleiern bis zur Kenntlichkeit hervor; Debora, die weise Richterin, hier Simson und Delila, dort Saul und David in der Höhle von En-Gedi, ferner der weise Salomo, Ahab und das böse Weib Isebel im Garten von Nabot usw.
Es folgten nacheinander die mannigfaltigsten Erscheinungen, in denen weise Männer zum Volke sprachen, worin Kriege geführt und glänzende Schlachten geschlagen, Menschen, die aller Wahrscheinlichkeit nach Propheten waren, grausam hingerichtet wurden. Zuletzt ward das Gewölbe, darin sie sich befanden, von einem milden, rötlichen Schein erhellt, drei Kreuze fanden sich auf einem Berge erhöhet, und fern im Tale sah man die mächtigen Stadtmauern von Jerusalem im glühendsten Abendrote daliegen. Die Stadt schien jetzt mit einem Male näherzukommen und ward im nächsten Augenblicke allerorts von kämpfenden Gestalten umringt, unzählige Banner flatterten im Winde, allen voran ein rotflammendes, achteckiges Kreuzzeichen; man gewahrte für einen flüchtigen Augenblick den göttlichen Tankred, den wackeren Gaston de Béarn, das Schwert gleich einer gleißenden Flammenbrücke vor sich hingestreckt, womit sie eine Gruppe hilfloser Sarazenenfrauen vor den wütenden Schwertern der Christen zu beschirmen strebten; allein sie vermochten gegen ihre rasenden Gefährten nichts zu bewegen, und Ströme von Blut ergossen sich allgemach über die Stadt, welche unvermittelt in dem hellsten Lichte zu erstrahlen begann.
Dieselbe Stadt leuchtete jetzt gleichsam in verherrlichtem Glanz, sie zählte zwölf Tore, welche aussahen wie Perlen und ihre Mauern funkelten wie von tausend Edelsteinen. Ein lichter Strom schien daraus hervorzuquellen und ergoß sich, klar wie Kristall, auf geradem Wege in das in der Grotte befindliche Becken. Langsam und gemach erstieg aus den blauschimmernden Fluten eine köstliche, herrliche Blume, an deren Blüten und Blättern funkelnde Tautropfen wie kostbare Perlen hingen und die den wunderbarsten, anmutigsten Duft verströmten. Immerfort prächtiger und schwellender entfaltete sich ihr Kelch, ein unaussprechlich lieblicher Duft wie von zahllosen Lilien erfüllte die glänzende Felsenkemenate, und als sich ihre Blütenblätter mit einem Male öffneten und sich die ganze herrliche Pracht auf das wundersamste dem Lichte erschloß, bemerkte der innerlichst erstaunte Valentino, daß im Innern jener Blume plötzlich seine vielgeliebte Undine erschien, die, wie er nun zu seiner höchsten Verwunderung bemerkte, an seiner Seite verschwunden war. Diese hatte nun die Fülle ihres Haars um ihre reizende Gestalt geschlungen, den holden Busen, wie so mancherlei andere, überaus reizvolle Dinge wie unter einem Schleier verhüllend, der umso berückender auf die Sinne zu wirken schien, desto mehr er verbarg. Weiter erschien ein in den prächtigsten Farben schillernder Mondregenbogen, sich über den Tauperlen der Blume wölbend, eine herrlich klingende Lyra, von einem Lorbeerkranze umwunden, während zugleich der Mond auf das berückende Bild herniederschien und die Undine, sich mit einem Kamm das lange, schöne Haar strählend, dazu gleich einer Sirene die lieblichsten Lieder sang. Danach wand sie sich unter den anmutigsten Bewegungen, wie eine Bajadere, aus dem strahlenden Kelche hervor, stand endlich vor dem sprachlosen Valentino still und blickte demselben lange Zeit und mit unaussprechlicher Zärtlichkeit tief in die Augen.
„Nun mußt du dich mit mir vermählen“, sprach sie zu dem verwirrten Jünglinge, „wir Geisterwesen nämlich, und nun gar wir zarten Undinen, die wir dazu bestimmt werden, als unsterblich die Zeiten zu durchirren, wir können erst Irdischheit erlangen, wenn sich einer von euch Sterblichen unseres Loses erbarmt und uns zur Braut nehmen will! Wisse fernerhin, daß wir allein durch die Vermählung mit euch Erdenmännern Anteil an der Unsterblichkeit der Seele erhalten und es uns vergönnt ist, wie ihr in das Himmelreich eingehen zu können! Sei ferner darin versichert, daß ihr keine treuere und liebevollere Frau gewinnen könnt als eben uns Undinen!“
Bei diesen Worten bebte es Valentino mit der süßesten Glückseligkeit in der Brust, die Undine schien in einem blütenweißen Hochzeitskleide an seiner Seite zu wandeln, sie blickten nun beide wie in eine klare, wunderbare Welt hinein, wie es sie immer schon in tiefster Seele geahnet, wie sie es aber nie noch recht auszusprechen gewußt hatten; diese neue Welt war ihnen gleichsam ein Spiegel, ein Abbild ihrer Seelen, die keine finstern Schatten mehr trübten und welche sich jetzt in diesem wundervollen, unbekannten Leben in der Gestalt des allgegenwärtigen, mächtigen Schöpfers auf das herrlichste verkörperte. Eine himmlische Melodie erklang in dem weiten, unendlichen Gewölbe der Sphären, Engelsbilder schwebten auf strahlenden Fittichen durch jene unermeßlichen Höhen, die Zeit der Erfüllung war angebrochen, die sich durch allerlei göttliche Zeichen und Wunder verkündigt hatte und nun ihrer endgültigen Vervollkommnung entgegensah!
Inmitten diesen Gefühles allerhöchster Begeisterung erwachte der Schläfer und fand sich, mit traumbefangenen Augen umherblickend, zu seiner größten Verwirrung in der blühenden Wiese wieder
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