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Homo homini lupus

Horcht, ihr Biedermänner, Leutchen und Spießbürger alle
notabene, merkt auf; Herbes verkünde ich euch!
Anmut’ge Verse ist man gewohnt vom lyrischen Dichter
schmeicheln soll er dem Sinn, kitzelnd erregen den Geist!
Just so gefiel’s euch, vom Dichter nur liebliche Worte zu hören
schön und klug gewiegt, daß man nicht Anstoß erregt!
Ach, eine einz’ge Strophe, in klingende Verse gesetzet
überfordert euch schon, weil nicht prosaisch wie ihr!
Einerlei jetzt, wer Ohren hat zu hören, der höre
neue Xenien sind’s, Sprüche vom Übel der Zeit!
Jede Zeit, so sagt man, hab’ ihre aufrechten Mahner
trefflicher Haber! – nur treten vergeblich sie auf!
Denn viel lieber vernimmt der Haufen die falschen Propheten,
Schmeichelrede und Trug, wie’s dem Philister gebührt!
Ei, wie mag der hohle Tropf sich unbändig gebärden
da er endlich bemerkt, wie ihn der Frevler genarrt!
Ach, nichts lernt er daraus, traut wieder den falschen Propheten
ob gleich Übel geschah ihm durch das falsche Gezücht!
Mag man’s begreifen? Schwerlich, allein nie wundert den Weisen
Narrheit, ist meistens doch selbst der Genarrte ein Lump!
Wahrhaft, so ist’s, denn es ist das größte Zeichen der Torheit
dieses, daß Unmoral sie stets nur bei anderen sieht!
Selber nicht zage, ruft der Philister Zeter und Mordo
nur, woferne ihm selbst Unrecht und Schmach widerfährt.
Trifft’s einen andern, ei, dann ist ein groß Schwadronieren,
schlecht, ach so schlecht wär’ die Welt; das sei der Lauf uns’rer Zeit!
Unzähl’ge Jeremiaden auch hör’ ich, wie unsere Tage
worden so schnellebig doch, niemand verstünde es recht!
Voll von Hektik und Streß und allerlei Arten von Arbeit
nicht mehr zum Aushalten wär’s; laßt uns doch endlich was tun!
Währenddessen spielt man mit den Mobiltelefonen
und der Computer läuft heiß, den man bedienen doch muß!
Antworten muß ich sogleich auf jene dringende E-mail
wichtig und eilig, gewiß! – ohnverweilt muß es gescheh’n!
Außerdem will ein Kleid ich, einen brandneuen Wagen
sieh’ uns’re Nachbarn doch; siehe, die haben’s ja auch!
Wehe, wie sonst soll das geh’n, wenn so unerhört teuer das Leben?
Leutchen, immer nur zu; munter und frisch ins Burnout!
Treibt’s im Überfluß immerzu fort, auf nichts zu verzichten
seh’n wir wieder uns denn in des Psychiaters Gemach!
Seltsam genug, gewahr’ ich gar häufig verdross’ne Gesichter
allem Wohlstand zum Trotz; werdet ihr seiner nicht froh?
Häuft ihr ins Säckel doch, was irgend ihr könnt nur erraffen
sagt aber doch zugleich: Reichtum bringt nimmermehr Glück!
Zeugen euere Werke doch stets wider euere Worte;
sagt man mit Recht nicht: an den Früchten erkennt man den Baum?
Allüberall begegn’ ich unzufriedenen Mienen
bösem und mürrischem Blick: so sieht Zufriedenheit aus?
Schreit’ ich fürbaß, einen Gruß, ein freundliches Lächeln zu bieten
blicken fremd sie mich an; niemand erwidert den Gruß!
Seid ihr wahrlich denn, biedere Leutchen, so tief schon gesunken
daß befremdlich euch dünkt eines Zufriedenen Gruß?
Könnt ihr und wollt ihr deshalb keine Zufriedenen sehen
weil ihr selbst ja nur lauter Verdrossene seid?
Wahrhaft, das ist’s, welches still und heimlich verzehrt eure Seele:
Glückliche sehen, dieweil selber man unglücklich ist!
Ja, anstatt zu wollen, daß selber ihr glücklicher wäret
wünscht ihr, daß andre nun ebenso unglücklich sei’n!
Ach, wie erbärmlich, Philister, ist bloß dein kleinlicher Wille
da er andern mißgönnt, welches er selber entbehrt!
Tief im Innersten ahnt dir, wie du auf Irrwegen wandelst
doch dein neidvolles Herz richtet sich gegen dich selbst!
Loser Philister, tief im Herzen haßt du dich selber
weil in Schlechtigkeit ganz sich deine Seele verzehrt!
Indifferenz und Mittelmaß sind der Ehrlosen Kanon
wenn im Leben es gilt, trennt sich vom Weizen die Spreu!
Bürgersinn gleicht einem losen Zaum nur viehischer Triebe
niemals wird aus ihm wahrhafte Tugend ersteh’n!
Wahrlich, solang das Leben euch ohne Tiefgang verfließet
reicht er eben noch hin, größerem Übel zu wehr’n!
Oberflächlich, so ist des Philisters ganze Gesinnung
oberflächlich sein Dasein auch, so wie er selbst!
Prüft das Schicksal zuweilen ihn in schwieriger Stunde
stürzt sein Haus sogleich ein, das er auf Sand nur gebaut!
Wehe euch, die ihr den Himmel verschließt vor den Menschen
ihr gelangt nicht hinein; andere lässet ihr nicht!
Traun, wie fährst über Land und Meer du, loser Philister
einen einzelnen Mann zum Proselyten du machst;
da er’s geworden, so machst aus ihm einen Sohn du der Hölle
tausendmal schlimmer als du; Blut komme über dein Haupt!
Hört, Unsel’ge, denn dies ist euer wahres Verhängnis
daß mit Haß ihr verfolgt jenen, der besser als ihr!
Unentschuldbar, so ist vor Gottes Thron eure Sünde
kümmert’s euch? Wenig, da Gott ihr ja nimmermehr glaubt!
Euer Geschlecht, es hat den Ratschluß Gottes verworfen
und sich selbst auf den Thron Gottes hienieden gesetzt!
Treibt’s nur fort, und weiter verfolgt, die retten euch wollen
retten, ja vor euch selbst, die in Verblendung ihr lebt!
Hättet erhört ihr des Sokrates Wort, die Gleichnisse Jesu
nimmer bedürfte es dieses bescheidenen Werks!
Diesen schlugt ihr ans Kreuz, den Schierling botet ihr jenem:
wann, o Menschheit, du kommst endlich zu deiner Vernunft?
Ach, schon seh’ frisches Blut ich, neues Ungemach kommen:
ewig, ach ewig, o Mensch, bleibst du dir selber ein Wolf!



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